Frage an Martina Bunge von Michael S. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Bunge,
vielleicht können Sie mit erklären, wie die Rentenerhöhungen von 0,25% West und 3, 29% Ost zustande kommen. Für die 17 Millionen Westrentner ist dieses Ergebnis faktisch eine Rentenkürzung und nicht nachvollziehbar. Die Lebenshaltungskosten sind im letzten und in diesem Jahr um ca. 2% gestiegen!!! Für einen Westrentner, der 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, ist dieses Ergebnis eine Verhöhnung. Wenn es darum geht die Abgeordneten Diäten zu erhöhen (z.B. zuletzt in Bayern) ist man sich in den Parteien unisono einig. Die 17 Millionen Westrentner werden sich genau überlegen, wen sie bei der nächsten Wahl ihre Stimme geben.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Schwarz,
dieser beachtliche Ost-West-Unterschied bei der bevorstehenden Rentenanpassung ist tatsächlich erklärungsbedürftig, und die 0,25 Prozent Erhöhung sind für die Rentnerinnen und Rentner im Westen tatsächlich eine Zumutung.
Der Vorgang zeigt nicht zuletzt, wie kompliziert das Rentenrecht ist. Oder genauer, wie kompliziert es durch die zahlreichen Eingriffe seitens verschiedener Bundesregierungen vor allem in den vergangenen Jahren geworden ist. Und nicht nur kompliziert, sondern auch negativ mit seinen Auswirkungen auf die Versicherten.
Da war einmal die Einführung der "Riester-Rente" samt "Riester-Faktor" durch Rot-Grün. Diese Privatversicherung sollte die Absenkung des Rentenniveaus auffangen. Dass dies nicht funktionieren wird, war voraussehbar, denn gerade diejenigen, die darauf angewiesen sind, haben oft gar nicht das Geld für eine zusätzliche Versicherung. Die teuren Verwaltungskosten, die miesen Renditen und die mangelnde Dynamisierung der Leistungen machen Riester-Sparen nicht viel besser, als das Geld in den Sparstrumpf zu stecken.
Wie jetzt eine vielbeachtete Studie des Renten-Experten Dr. Johannes Steffen aufdeckte, war der Riester-Faktor zudem seinerzeit auch noch viel zu hoch angesetzt worden. Durch diesen Faktor ist die Rente heute um fünf Prozent niedriger als sie es ohne diesen Faktor wäre. Denn viel zu wenige Beschäftigte haben tatsächlich einen Riester-Vertrag abgeschlossen, und sie zahlen zudem statt der kalkulierten vier Prozent nur ein Prozent ihres Bruttoverdienstes dafür ein.
Zusätzlich beschnitten wurde die Rentenformel mit dem "Nachhaltigkeitsfaktor", ebenfalls von SPD und Grünen eingeführt. Er berücksichtigt das Verhältnis zwischen Rentnern und Beitragszahlern. Die heutigen Rentnerinnen und Rentner werden quasi dafür bestraft, dass die Menschen immer älter werden und dass weniger Kinder geboren werden.
Beide Faktoren dämpfen die Rentensteigerung in diesem Jahr, und zwar gleichermaßen in Ost und West: der Riester-Faktor mit 0,26 Prozent und der Nachhaltigkeitsfaktor mit 0,72 Prozent.
Der Ost-West-Unterschied kommt vor allem über die sogenannte Lohnkomponente. Das heißt aber nicht unbedingt über besonders hohe Lohnsteigerungen im Osten, wie man jetzt häufig lesen konnte:
Erstens zeigte die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze im Osten Wirkung. Diese wurde 2011 um 1.800 Euro erhöht (aufs Jahr bezogen). Allein daraus ergibt sich ohne jede Lohnerhöhung eine höhere beitragspflichtige Entgeltsumme. Diese ist die Grundlage für die Berechnung der Rentenanpassung. Im Westen dagegen blieb die Beitragsbemessungsgrenze konstant.
Zweitens machte sich für die Rentenanpassung im Westen noch die während der Krise massenhaft angewandte Kurzarbeit bemerkbar. Diese hatte eine dämpfende Wirkung auf die Rentenerhöhung West (im Ergebnis einer komplizierten Berücksichtigung der Aufstockungsbeiträge der Bundesagentur für Arbeit bei der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung).
Hinzu kommt der sogenannte "Nachholfaktor" für in der Vergangenheit unterbliebene Rentenkürzungen. "Nichts ist umsonst", heißt es. Und so müssen die Älteren zurückzahlen, was ihnen nach Meinung der Bundesregierung eigentlich nicht zustand. Da im Osten der Ausgleichsbedarf bereits im vergangenen Jahr vollständig abgebaut war, kommt er in diesem Jahr nur noch im Westen zum Tragen- nämlich mit der Halbierung der Erhöhung.
Im nächsten Jahr, so ließ die Bundesregierung schon wissen, soll es auch im Westen eine deutlich höhere Rentenanhebung geben.
Das war eine lange Erklärung, die eigentlich viel zu kurz ist für diesen ebenso komplizierten wie unerfreulichen Tatbestand.
Nun werden Sie noch wissen wollen, wie ich, wie Die Linke, dazu steht.
Wir wollen einen Kurswechsel in der Rentenpolitik: Die gesetzliche Rente muss wieder zum Zentrum der Alterssicherungspolitik werden und den Lebensstandard im Alter sichern. Menschen, die lange Jahre Beiträge gezahlt haben, müssen wieder Renten erhalten, die einen deutlichen Abstand zur Grundsicherung aufweisen. Die Rente muss wieder der Lohnentwicklung folgen.
Dazu müssen sämtliche Kürzungsfaktoren (wie oben kurz beschrieben) aus der Rentenanpassungsformel gestrichen werden Außerdem ist es nötig, prekäre Beschäftigung, schlechte Löhne und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Denn aus guter Arbeit und guten Löhnen ergibt sich auch eine gute Rente.
Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre lehnen wir ab. Sie ist nichts außer einer weiteren Kürzung der Renten. Stattdessen wollen wir flexible Übergänge in die Rente vor dem 65. Lebensjahr ermöglichen.
Das alles ist finanzierbar, wenn die Arbeitgeber wieder paritätisch an den Kosten der Alterssicherung beteiligt und künftig alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Auch Selbständige, Beamte und Abgeordnete zum Beispiel sollen dort einzahlen. Die Beitragsbemessungsgrenze wollen wir aufheben und die hohen Rentenansprüche abflachen.
Den Solidarausgleich wollen wir erweitern, damit Phasen der Erwerbslosigkeit, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen oder niedrigen Löhnen nicht in die Altersarmut führen.
Schließlich meinen wir, dass 23 Jahre nach der deutschen Einheit die Ostrenten endlich an das Westniveau angeglichen werden müssen.
Womit ich noch einmal an den Ausgangspunkt zurückgekommen bin: die Ost-West-Unterschiede bei der Rentenanpassung im Juli. Dabei kommen zwar die Ost-Rentnerinnen und -Rentner im Vergleich zu ihren Altersgefährten West gut weg. Aber nach wie vor klafft eine größere Lücke zwischen dem Rentenwert Ost und dem Rentenwert West. Für ein Jahr mit durchschnittlichem Verdienst gibt es ab Juli in Westdeutschland 28,14 Euro Rente, in Ostdeutschland hingegen nur 25,74 Euro. Über 45 Arbeitsjahre hinweg macht das 1.266,30 Euro im Westen und 1.158,30 Euro im Osten. Nach Adam Ries ein Unterschied von 108 Euro!
Angesichts dessen bleiben wir bei unserer Forderung "Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung". Dies soll aber keineswegs in Konfrontation zu der älteren Generation in Westdeutschland erfolgen. Ich finde es sehr bedauerlich, wenn die bevorstehende Rentenanpassung (weiter) dazu genutzt wird, einen Keil zwischen Ost und West zu treiben.
Dazu zählen auch die Versuche, mit den durchschnittlich in Ost und West gezahlten Rentenbeträgen Stimmung zu machen. Bei der Veröffentlichung entsprechender Statistiken wird selten gesagt, dass die höheren Durchschnittszahlungen im Osten nicht allein aus längerer Erwerbszeit resultieren. Das ist nur ein Teil der Wahrheit (und von abnehmender Bedeutung, weil viele Menschen in Ostdeutschland seit 1990 durch Arbeitslosigkeit häufig große Lücken in ihrer Erwerbsbiografie haben). Hinzu kommt vor allem: Mit der Rentenüberleitung sind sämtliche Berufsgruppen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen worden - ob Köchin, Schlosser, Lehrerin, Architekt oder Professorin, auch wenn manche eigentlich zusätzliche Anwartschaften hatten. Folglich sind alle Menschen, auch die, die etwas mehr verdient haben (allerdings nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze) einbezogen. Sie alle gehen in den Durchschnitt der Ostrenten ein und heben ihn an.
Diese Berufsgruppen mit höheren und im Westen wirklich hohen Einkommen sind aber in der Bundesrepublik zumeist gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sondern haben eigenständige Versorgungswerke. Und die Beamtinnen und Beamten mit ihrer Pension gehen ebenfalls nicht in die Statistik der Deutschen Rentenversicherung ein.
Außerdem ist der Fakt wichtig, dass für die meisten Älteren im Osten nach wie vor die Rente das einzige Alterseinkommen ist.
Abschließend noch eine Bemerkung zu den Abgeordnetendiäten, die Sie in Ihrer Mail angesprochen haben:
Die Linksfraktion hat, seit sie im Bundestag ist (2005), geschlossen alle Diätenerhöhungen abgelehnt. Ihre Abgeordneten, so auch ich, spenden den monatlichen Nettobetrag der zusätzlichen Diäten für einen guten Zweck.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, dass es eines nicht so fernen Tages gelingt, eine auskömmliche, solidarische Rente für alle zu erreichen. In Ost und West.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Martina Bunge