Frage an Martin Lindner von Joachim K. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Dr. Lindner,
bekanntermaßen tritt die FDP für die Privatisierung möglichst vieler zur Zeit staatlich / städtisch organisierter Aufgabenbereiche ein. Ich kann diesen Ansatz insofern nachvollziehen, als privat organisiertes Wirtschaften über eine Zunahme von Verantwortlichkeit die unternehmerische Effizienz erhöht und damit zumindest theoretisch Kostenvorteile an den Kunden weitergegeben werden können.
Rein praktisch und konkret bezogen auf Berlin und die in den letzten Jahren erfolgten Privatisierungen von GASAG, BEWAG und den Wasserbetrieben geht diese Effizienzsteigerung jedoch mit dem `Dikatat` des Shareholder Values einher, was für die Berlinerinnen und Berliner in der Summe eine Erhöhung von Bezugskosten für Strom, Gas etc. bedeutete, die seit den o.g. Privatisierungen über der Steigerung der reinen Energiekosten am Weltmarkt liegt.
Wie stehen Sie zu weiteren Privatisierungen von BVG, Wohnungsbaugesellschaften u.ä.?
Wie stehen Sie zu Reditegarantien, wie sie offenbar im Zusammenhang mit der Veräußerung der Wasserbetriebe abgegeben wurden?
Ist es nicht so, daß diese aus Finanznotstand geborenen Verkäufe zu einem Abfluss von Berliner Vermögen führen (wobei ich Vermögen hier als die Summe dessen bezeichne, was Privathaushalte, regional tätige private sowie landeseigene Unternehmen besitzen)?
Wo ist aus der Perspektive des kleinen Mannes der Vorteil von Privatisierungen landeseigener Berliner Unternehmen auszumachen?
Vielen Dank für Ihre Bemühungen,
mit freundlichen Grüßen,
Joachim Koch
Sehr geehrter Herr Koch,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne beantworten will.
Für die FDP gilt der Grundsatz: Privat kommt vor dem Staat. Deshalb sind möglichst alle Landesbetriebe zu privatisieren, also auch die BVG und die Wohnungsbaugesellschaften. Der Monopolist BVG ist mit Zuschüssen von fast 500 Mio. Euro jährlich und einem Schuldenstand von fast 1 Mrd. Euro der größte Haushaltsposten im Ressort von Senator Wolf. Eine Ausschreibung von Losgrößen und die Veräußerung der landeseigenen Anteile an der BVG und damit ein richtiger Wettbewerb wird erstens zu geringen Belastungen des Landeshaushaltes (und damit des Steuerzahlers) und konsequenterweise zu mehr Service und niedrigeren Preisen führen.
Auch ist nicht einzusehen, warum das Land Berlin Wohnungen besitzen muss. Der Verkauf der GSW hat gezeigt, dass die Mieterrechte auch weiterhin gelten, z.T. sogar deutlich weitergehender sind als bei den Wohnungen in Landesbesitz und dass in diesen Beständen keine Mieterhöhungen erfolgten, anders als bei den landeseigenen Wohnungsgesellschaften. Gerade bei Immobilien sollte aus meiner Sicht die aktuell immense Nachfrage nach Kaufimmobilien dringend genutzt werden. Warum soll in Berlin nicht das vollzogen werden, was Dresden zur ersten schuldenfreien Großstadt Deutschlands hat machen lassen? Berechnungen meiner Fraktion ergaben, dass allein durch den Verkauf des kompletten landeseigenen Wohnungsbestandes in Berlin rund 5,5 Mrd. Euro erzielt werden können. Das entspricht einer jährlichen Zinsersparnis von fast 200 Mio. Euro. Geld das dringend für Investitionen in Bildung, Forschung und Gesundheit gebraucht wird. Daher betrachte ich diesen Schritt, den Sie als Abfluss von Vermögen bezeichnen, keineswegs als nachteilig für die Berlinerinnen und Berliner, sondern im Gegenteil als deutlich von Vorteil.
Allerdings gebe ich Ihnen bei den Wasserbetrieben ausdrücklich Recht. Das was dort 1999 gelaufen ist, ist eine vermurkste Teilprivatisierung par excellence. Hier hat sich Berlin einen Mehrheitsbesitz (50,1 Prozent) gesichert durch aberwitzige Renditegarantien, die jetzt nur durch Preissteigerungen (seitdem um über 20 Prozent) für die Verbraucher zu erzielen sind. Meine Fraktion hat der Änderung des Teilprivatisierungsgesetzes nicht zugestimmt. Andere Beispiele einer erfolgreichen Privatisierung wie der Telefonmarkt oder der Strommarkt zeigen, dass erfolgreiche Entstaatlichungen nur dann funktionieren und zu einer erheblichen Preissenkung und einem deutlichen Angebotsanstieg für die Endverbraucher führen, wenn diese Entstaatlichungen komplett erfolgen.. Zusätzlich werden durch dieses Mehr an Freiheit und Wettbewerb die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln massiv verbessert und damit auch mehr Arbeitsplätze für Berlin geschaffen. Dies ist in Berlin bei 17 Prozent Arbeitslosigkeit die beste Perspektive für die Berlinnen und Bürger dieser Stadt!
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Martin Lindner