Frage an Martin Lindner von Max G. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Lindner,
meine Frage habe ich ursprünglich an Ihren Namensvetter Christian Lindner gerichtet, von ihm kam eben die Auskunft, dass die Aussage, auf die sich meine Frage bezieht, von Ihnen kam und in den Medien u.U. eine Verwechslung vorlag. Nun zum Thema:
Ich habe gestern, als ich in den Medien Reaktionen auf das aktuelle Urteil des BVG zu Hartz-IV gelesen habe, auch Ihren Kommentar vernommen - Zitat: "Ich möchte nicht, dass wir über ein neues System Anreize schaffen, dass man übers Kinderkriegen Geld verdienen kann. Sonst gehen wir als Gesellschaft vor die Hunde." Ich dachte, ich lese nicht richtig...
Können Sie nachvollziehen, dass da einige Menschen (wie z.B. www.gegen-hartz.de ) - ich auch - eine Tendenz zur Volksverhetzung sehen?
Meinen Sie das wirklich, oder werden Sie diese Äußerungen richtigstellen bzw. zurücknehmen?
Mit freundlichen Grüßen,
Max Glogger
Sehr geehrter Herr Glogger,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 12.02.2010 zum Thema Soziales. In der Tat geht es in der Debatte um das Urteil des BVerfG zu Hartz-IV nicht nur um eine bloße Aufstockung der Kinderregelsätze, wie dies nun von einigen Verbänden und Parteien angeführt worden ist. Ich bin der Meinung, dass fehlende Transparenz bei der Berechnung der Regelsätze für Kinder wie Erwachsene besteht. Und dies ist nicht nur über eine Erhöhung oder Aufstockung der Kinderregelsätze zu beheben. Aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion ist es selbstverständlich, dass es eine staatliche Absicherung des Existenzminimums geben muss. Sie ist für die soziale Gerechtigkeit, für den Zusammenhalt einer Gesellschaft und insbesondere für die Freiheit des Einzelnen unverzichtbar. Denn jeder kann unverschuldet in eine Situation geraten, in der er ohne Unterstützung nicht mehr weiter kommt. Hier ist Hilfe notwendig, in Form von finanzieller Unterstützung und auch mehr. Ziel muss es aber immer sein, dass die Bürger möglichst rasch wieder auf eigenen Beinen stehen und an der Gesellschaft teilhaben können. Die bestmögliche Balance zwischen einer Absicherung in Notsituationen und der Integration in Arbeit zu finden, ist vornehmliches Ziel liberaler Sozialpolitik. Dabei dürfen wir aber auch das Verhältnis zwischen den Leistungsempfängern und denjenigen, die diese Leistungen erbringen, nicht aus den Augen verlieren. Das Geld, welches der Staat für soziale Leistungen ausgibt, müssen die Bürger durch Steuern bezahlen. Ein effizientes Sozialsystem muss sich deshalb an dem Grundsatz orientieren, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet. Schon heute nehmen 6,7 Mio. Menschen Leistungen des Arbeitslosengelds II in Anspruch. Zum Teil leben sie ausschließlich von Hartz IV, zum Teil erhalten sie ergänzende Leistungen zu ihrem Erwerbseinkommen oder verdienen sich noch etwas zum Arbeitslosengeld II hinzu. Mit höheren Regelsätzen würden noch mehr Menschen in den Hartz-IV-Bezug gelangen. Es würden die Anreize verstärkt, sich in einem Bezug von staatlichen Transferleistungen „einzurichten“, anstatt eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Gerade Kinder arbeitsloser Eltern wären die Leidtragenden. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Kinderregelsätze nicht prozentual vom Regelsatz eines Erwachsenen abgeleitet werden dürfen, sondern der Bedarf von Kindern eigenständig ermittelt werden muss. Dies hat die FDP-Bundestagsfraktion seit langem gefordert. Zudem hat das Gericht die fehlende Transparenz bei der Berechnung der Regelsätze für Kinder wie Erwachsene beanstandet, jedoch nicht die Höhe der Leistungen in Frage gestellt. Vielmehr hat das Gericht ausdrücklich festgestellt, dass „die geltenden Regelleistungen nicht als evident unzureichend angesehen werden“, sondern das Existenzminimum grundsätzlich absichern. Die unmittelbar nach der Urteilsverkündung erhobenen Forderungen, die Regelsätze pauschal auf 420 oder 500 Euro heraufzusetzen, wie es die Grünen und die LINKE fordern, halten wir für falsch. Eine planlose Erhöhung von Regelsätzen würden wieder nur dazu führen, dass falsche Anreize gesetzt werden und oft das Geld gar nicht den Kindern zugute kommt, sondern im Spielsalon oder in der Kneipe landet. Dabei bleibe ich auch.
Wir wollen dagegen dafür sorgen, dass Kinder arbeitsloser Eltern dieselben Chancen für Bildung und Aufstieg haben wie andere Kinder. Sie sollen später nicht auf Hartz IV angewiesen sein, sondern ein eigenverantwortliches Leben führen und für ihren Unterhalt und den ihrer Familie selbst aufkommen können. Deshalb werden wir die Bildungschancen für Kinder verbessern, dies gilt bei der Überarbeitung der Leistungen für Kinder in Bedarfsgemeinschaften, aber auch für alle Kinder in diesem Land. In diesem Zusammenhang hat die Koalition beschlossen, in einem bislang einzigartigen Kraftakt zusätzliche 12 Mrd. Euro für Bildung und Forschung zur Verfügung zu stellen. Ferner müssen wir überlegen, inwieweit wir auch durch Sachleistungen für Kinder anstelle oder in Ergänzung von Geldleistungen treffsicher und besser Teilhabe und Chancen gewährleisten können. Dies kann meines Erachtens in Form von direkter Übernahme von Zahlungen (z.B. Schulspeisung, Klassenausflüge etc.) oder Gutscheine (z.B. für Musik- oder Sportunterricht) erfolgen.
Mit den besten Grüßen
Dr. Martin Lindner