Frage an Markus Schneider-Johnen von Ralf Paul R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Nr.1 Gewissensfrage
Die Möglichkeit, einzelne Personen direkt in die Bürgerschaft zu wählen oder wenigstens deren Entsendung zu unterstützen ist erfreulich, wirft aber auch die Frage auf, ob parteigebundenen Kandidaten überhaupt je Entscheidungen treffen, die nicht vom Konsens der Fraktion diktiert werden.
Wie halten Sie es mit der Freiheit Ihrer Entscheidung in Abstimmungsfragen und mit Ihrer Verantwortung gegenüber den Wählern, die Ihnen ihre Stimme als direkte Personenwahlstimme gegeben haben?
Nr.2 Stadtentwicklungspolitik
Wie wollen Sie sich persönlich und im Rahmen Ihrer Fraktion für die Bereitstellung sozialen Wohnraumes, d.h. für die gesetzliche Verankerung einer Quote für mietpreisgebundenen Wohnraum in allen Hamburger Stadtteilen einsetzen?
Können Sie sich vorstellen, auch gestzliche Grundlagen für die Bereitstellung sozialer Gewerberäume zu schaffen, also für ausgewiesene Gewerberaumkontingente, in denen für bestimmte soziale Zwecke und Mietergruppen die freien Marktbedingungen für Gewerberaum reglementiert werden?
Nr.3 Arbeits- und Bildungspolitik
Welche Instrumente und Gesetzesgrundlagen werden Sie in der Bürgerschaft vorschlagen, um die Ausbildungs- und Fortbildungsperspektiven für erwerbstätige und arbeitslose Erwachsene stärker zu fördern und auch finanziell zu unterstützen?
Nr.4 Studiengebühren
Wie sehen Sie die Möglichkeiten, die Studiengebühren an Universitäten und Fachhochschulen wieder abzuschaffen oder wenigstens deutlich zu senken? Und wie transparent werden Studierende eigentlich über die konkrete Verwendung der Studiengebühren für Zwecke und Mehrwerte in Ihrem eigenen Studium informiert? Müssten die Bildungseinrichtungen, denen die Studiengebühren zukommen hierüber nicht viel intensiver Auskunft geben?
Hallo Herr Randau,
vielen Dank für Ihre Fragen, die interessante Anregungen beinhalten und auf die ich gerne wie folgt antworte:
zu 1. Gewissensfrage
Bei der LINKEN gibt es keinen Fraktionszwang. Gäbe es ein imperatives Mandat, wäre ich nicht zu einer Kandidatur bereit gewesen. Das freie Mandat halte ich für ein wesentliches Element der Demokratie und ich stimme auch jetzt bei meinem Agieren in Ausschüssen stets so ab, dass ich es mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Gleichwohl mache ich die Erfahrung, dass wir als Fraktion auf Bezirksebene in wesentlichen Positionen übereinstimmen. Auch für die Zukunft gehe ich davon aus, dass wir LINKE in vielen Fragen weiterhin einen Konsens erzielen auf der Basis unserer Programmatik.
zu 2. Stadtentwicklungspolitik
Für die Bereitstellung sozialen Wohnraums setze ich mich bereits im Rahmen meiner Mitgliedschaft im bezirklichen Bauausschuss ein. Bei Wohnungsbauvorhaben machen wir LINKE unsere Zustimmung abhängig davon, ob öffentlich geförderte oder hochpreisige Wohnungen entstehen sollen. Da zumeist bestimmte Befreiungen vom Baurecht beantragt werden, gäbe es die Möglichkeit, Einfluss darauf auszuüben, ob Sozialwohnungen entstehen, dadurch dass es rechtlich möglich ist, die Erteilung von Befreiungen vom beabsichtigen Wohnungsstandard abhängig zu machen. Es ist möglich, Vereinbarungen vertraglich festzuhalten. Dies scheitert bislang in den meisten Fällen am politischen Unwillen der anderen Parteien.
Eine Gesetzesinitiative zugunsten einer Quote für mietpreisgebundenen Wohnraum halte ich für denkbar. Zuvor sollte jedoch die Frage geklärt werden, ob einem solchen Gesetz andere gesetzliche Regelungen im Wege stehen. Die Abklärung dieser Frage und ggf. eine solche Gesetzesinitiative sollten auf der Agenda der LINKEN Stadtentwicklungspolitik in der nächsten Legislaturperiode stehen.
Ich kann mir auch zwei gesetzliche Grundlagen für die Bereitstellung sozialer Gewerberäume vorstellen: zum einen eine Obergrenze der Quadratmeterpreise beim Verkauf und bei der Vermietung von Gewerberäumen auf dem freien Markt einzuführen - mit einer Art Sozialbindung angelehnt an den Mietenspiegel für Wohnraum, zum anderen dass die Stadt Flächen bereitstellt für sozialen Gewerbebau und hierfür entsprechende Kriterien entwickelt sowie endlich das städtische Vorkaufsrecht in Anspruch zu nehmen.
zu 3. Arbeits- und Bildungspolitik
Wir LINKE fordern eine Ausbildungsplatzabgabe von den Unternehmen, die ihrer Ausbildungspflicht nicht oder nicht in genügendem Maße nachkommen. Zusätzlich wäre naheliegend, dass die Politik Anreize für Arbeitgeber schafft, damit sie Fortbildungen auch ohne den Abschluss von Knebelverträgen mit Ihren MitarbeiterInnen finanzieren.
Für erwerbslose Erwachsene gilt es, Angebote auszubauen - und zwar auf freiwilliger Basis, ohne dass hierin ein Allheilmittel für die Bekämpfung der Erwerbslosigkeit gesehen wird. Hauptursache für die Massenarbeitslosigkeit sind nämlich nicht fehlende Qualifikationen. Sonst gäbe es wohl kaum hoch qualifizierte Erwerbslose.
zu 4. Studiengebühren
Nach dem Bruch der schwarz-grünen Koalition hat DIE LINKE einen Antrag zur Abschaffung der Studiengebühren in die Bürgerschaft eingebracht, der von allen anderen Fraktionen abgelehnt worden ist. Die SPD hat zwar mal die Abschaffung der Studiengebühren in Aussicht gestellt, aber alle Zusagen, die Scholz vor der Wahl gemacht hat, stellt er unter den Haushaltsvorbehalt - und das selbst dann, wenn es darum geht, Maßnahmen rückgängig zu machen, die er selber als Fehler bezeichnet. Ich halte das weder für redlich noch für glaubwürdig und bin skeptisch, ob es für die Abschaffung der Studiengebühren nach der Wahl eine Mehrheit geben wird, wenn es sie nicht mal vor der Wahl gegeben hat.
Zweckentfremdungen bei der Verwendung der Studiengebühren sind ein zusätzliches Ärgernis und bedürfen mehr Transparenz. Studiengebühren gehören abgeschafft. Solang sie aber erhoben werden, sind sie auch zur Förderung des Hochschulwesens einzusetzen.
Mit nettem Gruß,
Markus Schneider-Johnen