Frage an Markus Rösler von Ralf B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Rösler,
Mich interessiert Ihre persönliche Meinung zum Thema Flüchtlingspolitik in Deutschland, speziell in BW. Wie ist die Haltung Ihrer Partei in BW und auf Bundesebene ?
Vielen Dank.
R. B.
Sehr geehrter Herr B.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte: Weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Auch nach Baden-Württemberg kommen viele Menschen, die Schutz vor Krieg, Unterdrückung und Verfolgung suchen. Wir nehmen unsere humanitäre Verantwortung für diese Menschen gemeinsam mit den Kommunen, Kirchen, Flüchtlingsorganisationen und vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern wahr. Unser Ziel ist dabei die bestmögliche Unterbringung, Betreuung und Integration der Flüchtlinge.
Gleichzeitig gilt: Wir fördern und fordern zugleich. Flüchtlinge müssen sich genauso an unsere Verfassung halten wie wir selbst. Straftaten gegen Flüchtlinge wie Straftaten von Flüchtlinge sind mit gleicher Konsequenz zu verfolgen und zu ahnden.
Elementar wichtig für die Integration der Flüchtlinge sind nach meiner Meinung "Dach über dem Kopf", Erwerb der deutschen Sprache, Willkommenskultur und Arbeitsmöglichkeiten.
Prioritäre Aufgabe neben den extrem wichtigen internationalen Bemühungen ist m.E. derzeit die schnelle(re) Abwicklung der Asylverfahren: In Gerlingen bekam ich kürzlich einen Fall von Asylsuchenden aus Westafrika mitgeteilt, in dem diese bereits seit 27 Monaten in Deutschland registriert sind, aber immer noch keinen - positiven oder negativen - Bescheid erhalten haben!
Mit den früheren Regelungen waren Flüchtlinge in Deutschland häufig zum „Nichtstun“ verdammt, eine Integration wurde damit erschwert. Diese ausgrenzende Haltung konnte mit dem federführend durch uns Grüne und Ministerpräsident Winfried Kretschmann erreichten Asylkompromiss im Bundesrat geknackt werden. Der Asylkompromiss hat gebracht:
- Absenkung des absoluten Beschäftigungsverbots auf 3 Monate und Ermöglichen der Erwerbstätigkeit ohne Vorrangprüfung nach 15 statt bisher 48 Monaten. Das bedeutet ganz konkret: raus aus der Abhängigkeit, arbeiten dürfen, Einkommen erzielen, selbst für sich sorgen können.
- In Zukunft sollen Flüchtlinge in Deutschland die Gesundheitskarte bekommen (eine langjährige Forderung der Grünen). Vorteil: die Flüchtlinge müssen nicht mehr erst zum Amt gehen, wenn sie erkranken, sondern sie können wie jeder andere auch gleich zum Arzt gehen. Verhandlungen für eine bundesweite Regelung laufen derzeit. Scheitern diese, führt Baden-Württemberg die Karte eigenständig ein.
- Vereinbarung über Verhandlungen über finanzielle Entlastung der Kommunen und der Länder. Inzwischen wurde erreicht, dass der Bund die Kommunen und Länder in 2015 um 1 Mrd. entlastet und sich ab 2016 dauerhaft und strukturell an den Kosten für die Flüchtlinge beteiligt.
- Vereinbarung, dass der Bund Ländern und Kommunen bundeseigene Gebäude wie ehemalige Kasernen zur Unterbringung von Flüchtlingen mietfrei überlässt.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann stand im Bundesrat vor einer schwierigen Entscheidung: Die Verbesserungen des Asylrechts waren daran geknüpft, die drei Westbalkanländer Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu sogenannten Sicheren Herkunftsländern zu erklären – ein 1993 installiertes Konstrukt, das wir Grüne ablehnen und auch weiterhin für falsch halten. Denn das Asylrecht ist und bleibt für uns ein individuelles Schutzrecht. Winfried Kretschmann hat sich als Ministerpräsident von Baden-Württemberg und als Grüner dafür entschieden, dem Gesetzesvorhaben im Bundesrat zuzustimmen. Er hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber er ist von den substanziellen Verbesserungen für die hier lebenden Flüchtlinge überzeugt.
Inzwischen hat die Bundesregierung das Asylpaket 2 beschlossen in dem es insbesondere um eine weitere Beschleunigung der Asylverfahren geht. Um weitere Staaten, nämlich die Maghreb Staaten, Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern zu machen, bedarf es nun wieder einer Abstimmung im Bundesrat. Dieser Abstimmungstermin wurde von der Bundesregierung auf den 18.3. festgelegt. Der Gesetzentwurf liegt dem Ministerpräsidenten zur Prüfung vor.
Die grün-rote Landesregierung hat bereits viele Maßnahmen für eine menschenwürdige Unterbringung, Betreuung und Integration von Flüchtlingen auf den Weg gebracht: Eine Vervierzigfachung der Aufnahmekapazitäten der Landeserstaufnahmeeinrichtungen, das bundesweit beispielhafte Registrierzentrum in Heidelberg mit schnellen und effektiven Verfahren, eine bedarfsangepasste Aufstockung der finanziellen Unterstützung für die Kreise und Kommunen, ein 60-Millionen schweres Landesförderprogramm „Wohnraum für Flüchtlinge“ zur Finanzierung zusätzlichen Wohnraums in der Anschlussunterbringung und das Programm „Chancen gestalten“ mit einem Volumen von 5 Mio. Euro für Sprach- und Integrationskurse sowie Stärkung der Netzwerke auf Kreisebene zur Förderung der Integration in den Arbeitsmarkt. Insgesamt haben wir im Nachtragshaushalt 1,8 Mrd. Euro eingestellt - das ist nur möglich dank vorsichtiger Haushaltspolitik und zugleich positiv sich entwickelnder Steuereinnahmen dank den Unternehmen und der Menschen im Ländle.
Bezüglich der Arbeitsplatzbeschaffung ist mein Eindruck und auch meine Erfahrung aus Gesprächen mit Flüchtlingen selbst, mit Mitgliedern verschiedener Arbeitskreise Asyl sowie mit behördlichen Expert/innen auf kommunaler, Kreis- und Landesebene: Zuerst müssen Flüchtlinge möglichst gute Sprachkenntnisse erwerben! Sonst sind mit wenigen Ausnahmen (englischsprachige Teilbereiche von international arbeitenden Firmen wie Bosch oder Trumpf oder sehr einfache Tätigkeiten beispielsweise im Bauhofbereich) zumindest ordentliche Deutschkenntnisse erforderlich, um einen Arbeitsplatz zu erhalten. Alle Sprachkurse von Volkshochschulen, Ehrenamtlichen sowie natürlich den Flüchtlingen selbst bilden daher die erste Grundlage und sind so gut wie möglich zu fördern. Grün-Rot hat daher über 1000 neue Lehrerstellen für sogenannte Vorbereitungsklassen geschaffen, in denen Kinder und Jugendliche in den Schulen insbesondere Deutsch lernen. Parallel hierzu ist die Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft eine wichtige Grundlage für die Verbesserung ihrer Chancen am Arbeitsmarkt. Die Teilnahme in Fußball- oder anderen Sportvereinen, auch das Betreuen von Kinderturnen durch Flüchtlingseltern, die Integration in Musikgruppen... erhöht aufgrund daraus erwachsender persönlicher Beziehungen die Chancen auf das Finden von Arbeitsplätzen. Einige Unternehmen im Wahlkreis Vaihingen / Enz, wozu Heimerdingen ja gehört, beschäftigen Flüchtlinge. Das ist vorbildlich und ich wünsche, daß es hier zu einer strukturierten Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen der Stadt einerseits und den Arbeitskreisen Asyl sowie der Stadtverwaltung und dem Landratsamt andererseits kommt.
In jedem Fall ist das Engagement der ehrenamtlichen Helfer/innen der Arbeitskreise Asyl insbesondere mit den Kirchen genauso wie dasjenige der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Rot-Kreuz, Feuerwehr, THW und der hauptamtlichen Beschäftigten in Behörden und der Polizei nicht hoch genug zu loben - Ihnen allen gebührt großer Dank!
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Markus Rösler