Frage an Markus Kurth von Ines E. bezüglich Soziale Sicherung
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/schwerbehinderte-verlierer-auf-dem-arbeitsmarkt-a-870630.html . Schwerbehinderte fühlen sich doppelt behindert: körperlich und sozial. Ich bin infolge einer Krebserkrankung als Journalistin/Kulturmanagerin selbst 80% schwer behindert und von Arbeitsweisen in Jobcentern (Verweigerung von Kündigungsschutz im Öffentlichen Beschäftigungssektor, Bedrohung mit dem Entzug des Existenzminimums) und Rentenversicherung (Verweigerung von Erwerbsunfähigkeitsrente) traumatisiert.
Miltons Friedmans These war: Freie Märkte befördern eine freiheitlich orientierte Gesellschaft. Milton Friedman erhielt den Nobelpreis. Deutsche Politiker plapperten das nach. Im Modell Friedman ist eine bedingungslose Grundsicherung als Verhandlungsbasis über Arbeitsinhalte und Arbeitsbedingungen integriert – als Voraussetzung für eine freiheitlich orientierte Gesellschaft. Politiker verschweigen das. Sie auch?
Politiker haben die Verantwortung für die Rahmenbedingungen, in denen Bürger leben und arbeiten können. Das Recht auf selbst bestimmte Arbeit in gemeinnützigen Vereinen für ein bedingtes Bürgergeld wäre bereits eine Hilfe. Aktion Mensch unterstützt die Idee.
Welche Problemlösung bieten Sie und Ihre Partei mir und anderen Schwerbehinderten an?
Sehr geehrte Frau Eck,
leider komme ich erst jetzt dazu, Ihnen auf Ihre Frage zu antworten.
Es ist richtig und notwendig, für einen Neuaufbruch in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik einzutreten.
Es wäre aber hochriskant, wenn nicht gar fahrlässig, vorschnell in einer totalen Umwälzung des Sozialsystems sein politisches Heil zu suchen. Das Konzept eines "bedingungslosen Grundeinkommens" etwa müsste in einem nach wie vor sozialstaatskritischen Klima realisiert werden. Wer garantiert dann, dass nicht bloß ein universeller Kombilohn entsteht? Woher sollen politische Mehrheiten für einen Mindestlohn kommen, wenn Erwerbseinkommen nicht mehr die vorrangige Einkommensquelle sind und folglich das Hauptargument "Man muss von seiner Hände Arbeit leben können!" nicht mehr sticht? Wer wird die allgemeine Kritik an der Sozialstaatsbürokratie am besten ausnutzen? Sicherlich gibt es zuviel Bürokratie im deutschen Sozialstaat. Aber alle, die in der Praxis sozialer Arbeit stehen, wissen auch um die Notwendigkeit eines vielfältigen Hilfesystems für Wohnungslose, Überschuldete, Frauen in Frauenhäusern, Weglaufkinder und die vielen anderen Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten.
Sozialstaatliche Hilfestellungen, Angebote und Maßnahmen müssen sich in erster Linie nach den Bedürfnissen, Wünschen und Möglichkeiten der Menschen richten. Kooperatives sozialstaatliches Handeln mit den Menschen erfordert jedoch mehr als eine allgemeine Einkommensgarantie auf niedrigem Niveau. Emanzipation und Befreiung aus Notlagen benötigen einen am Individuum orientierten Einsatz finanzieller und institutioneller Ressourcen. Eine bedarfsgeprüfte und mit belastbaren sozialen Bürgerrechten ausgestattete Grundsicherung ist hierfür der zielgenauere Weg.
Sie sind nicht die erste, die mir von ihren schlechten Erfahrungen im Jobcenter oder mit der Rentenversicherung berichtet. Vor einem Jahr habe ich deswegen gemeinsam mit meiner Fraktion einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der auf genau diese Praxis aufmerksam macht und Vorschläge unterbreitet, wie die Situation verbessert werden kann. Wenn Sie darüber mehr wissen möchten, können Sie hier die Rede lesen, die ich im Bundestag zu dem Antrag gehalten habe:
http://www.gruene-bundestag.de/parlament/bundestagsreden/2012/januar/soziale-buergerrechte_ID_401231.html
Um Menschen, die auf Assistenz angewiesen sind, gleichberechtigt die Möglichkeit zum ehrenamtlichen Engagement zu garantieren, setze ich mich dafür ein, dass auch für diesen Bereich eine Assistenz finanziert wird.
Herzliche Grüße,
Markus Kurth