Frage an Mario Sperling von Michael C. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Sperling, ich danke Ihnen für die „klarstellenden“ Worte auf die Anfrage von Herrn Wedell, die mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten!
Andererseits alle Achtung, denn so gekonnt, wie Sie alles in einen Topf schmeißen, stehen Sie den von Ihnen so sehr kritisierten Politikern doch in nichts nach....
Klare Fragen sollten mit klaren Antworten bedacht werden.
Nun zur Frage: Welches Konzept zur Entschuldung des Berliner Haushaltes im Rahmen der für Berlin durch die Bundespolitik vorgegebenen Möglichkeiten hat die WASG?
Vielen Dank im Voraus für eine klare Antwort,
M. Crucziak
Lieber Herr Cruczia,
vielen Dank für Ihre wichtige und für die Berliner Politik zentrale Frage. Daher erlaube ich mir, etwas ausführlicher zu antworten.
Die bundesdeutsche föderale Finanzverfassung (Artikel 104a – 115 Grundgesetz) sieht keine Ermächtigung für die Länder vor, eigene Steuern zu erheben. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Föderalstaaten bspw. zu den Bundesstaaten der USA oder den Kantonen der Schweiz. Allein der Bundestag entscheidet mit Zustimmung Bundesrates über die Erhebung und Verteilung der Steuern. Einer Entschuldung Berlins aus eigener Kraft sind daher enge Grenzen gesetzt.
Allein die Hebesätze der Gewerbesteuer und der Grundsteuern A (landwirtschaftliche Fläche) und B (bebaute Fläche bzw. Bauland) kann Berlin, da es zugleich Kommune ist, frei festsetzen. Die WASG fordert als einzige Partei, den Gewerbesteuerhebesatz von momentan 410% auf 450% zu erhöhen. Diese Anhebung auf das Niveau der Landeshauptstadt Potsdam brächte Berlin Einnahmen von ca. 75 Mio. ¤, die nicht im Länderfinanzausgleich verrechnet werden müssten, da die Realsteuerkraft unverändert bliebe.
Mit 75 Mio. ¤ kann der Haushalt zwar nicht saniert werden, aber die Summe entspricht den jährlichen Kürzungen an unseren Universitäten. Noch 1996 geißelte der damalige PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf die Weigerung der Großen Koalition, die Gewerbesteuer anzuheben als „fatale Politik“ (Vgl. Plenarprotokoll vom 14.03.1996). Als Senator vertritt Wolf nun die gleiche unternehmerfreundliche Politik, die er einst kritisierte. Eine Erhöhung der Grundsteuer B wird von der WASG nicht gefordert, da diese i.d.R. auf die Mietnebenkosten umgelegt werden kann. Die Grundsteuer A ist in Berlin bereits angemessen hoch.
Aber auch mit Ausgabensenkungen kann Berlin entlastet werden. Die Risikoübernahme für die Bankgesellschaft ist die teuerste Form der Krisenbewältigung und nutzt alleine den Fondszeichnern (Vgl. Wahlprogramm der WASG). Die WASG teilt daher die Forderungen der Initiativen zum Bankenskandal der Professoren Grottian und Kreibich nach Rücknahme der Risikoübernahme.
Auch die Novellierung des Teilprivatisierungsgesetzes der Wasserbetriebe,
mit der die Extraprofite der privaten Investoren (RWE und Veolia) durch SPD und Linkspartei.PDS gesichert wurden, schadet dem Land. Die WASG fordert hier die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe als langfristig günstigste Lösung für Berlin.
Kaum bekannt sind die immensen ökonomischen Kosten der Kürzungspolitik des Senats. Seit 1996 schrumpfte das Berliner Bruttoinlandsprodukt (in konstanten Preisen berechnet) um 8%, während die bundesdeutsche Wirtschaft um ca. 10% wuchs. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzte die jährlichen Wachstumseinbußen durch die Kürzungspolitik bereits Mitte der 1990er Jahre auf über 1%. Seit 2002 dürften es ca. 1,5% sein. Das Saarland und Bremen – beide seit Anfang der 1990er Jahre Haushaltsnotlagenländer – wuchsen im selben Zeitraum um 7,2% bzw. 9,5%. Ein wesentlicher Grund ist in der expansiven Haushaltspolitik beider Länder zu suchen, die ihre Primärausgaben (Ausgaben ohne Zinszahlungen) um 11,1% bzw. 13,8% steigerten (finanziert durch die Haushaltsnotlagenhilfen des Bundes und unterlassene Sparpolitik), während die Berliner Ausgaben um 10.8% sanken. Kurzum: Das Saarland und Bremen verweigerten sich einer vergleichbaren Konsolidierungspolitik wie sie insbesondere von SPD und Linkspartei.PDS vertreten wird. Ein solcher Standpunkt ist insbesondere für Berlin angemessen, da die Haushaltsnotlage Berlins in doppelter Hinsicht vom Bund verschuldet wurde. So wurden die Berlin-Hilfen nach der Wende viel zu schnell abgebaut, zugleich führte vor allem die Steuerpolitik des Bundes (unter Kohl wie unter Schröder) zu massiven Einnahmeausfällen für Länder und Kommunen).
Wenn der Bund maßgeblich verantwortlich ist, kann es keinen Automatismus in Berlin für Sozial- und Bildungsabbau sowie Privatisierungen geben. Die Klage des Landes in Karlsruhe ist zwar richtig (und sie war auch überfällig), allerdings ist sie extrem defensiv angelegt. Bewusst wird auf die Definierung einer „roten Linie“ für Kürzungen verzichtet und das, obwohl die Haushaltsnotlagenländer Saarland und Bremen genau so argumentieren. Selbst im Erfolgsfalle müssten die Kürzungen mit aller Härte fortgesetzt werden – mit erschreckenden sozialen und ökonomischen Folgen.
Dagegen betont das CDU regierte Saarland die „rechtliche bzw. faktische Grenze der zumutbaren Eigenbeiträge“ und hat den Bund in einem „Bund Länder Streitverfahren“ ein vorsätzliches „Unterlassen“ von Maßnahmen vorgeworfen, die die finanzielle Situation des Saarlandes und anderer Länder verbessert hätte. Denn die Pflichten sind in der „bündischen Ordnung“ der Bundesrepublik keine Einbahnstraße. Wenn der Bund vorsätzlich die Länder in den Ruin treibt, dann muss er auch um die Konsequenzen wissen: Denn alle Schulden der Länder landen automatisch beim Bund. Daher fordern neoliberale Finanzwissenschaftler seit längerem ein Verschuldungsverbot oder die Möglichkeit einer Insolvenz für Bundesländer.
Gerade weil in der Bundesrepublik nur der Bund über Steuererhöhungen bzw. über ein angemessene Besteuerung der großen Konzerne und Millionäre entscheiden kann, hat er auch die Verantwortung, dies zu tun und die Länder und Kommunen angemessen auszufinanzieren. Eine linke und fortschrittliche Antwort kann daher nicht darin bestehen, die Umverteilungspolitik auf Bundesebene zu kritisieren, sie aber in den Kommunen und Ländern auf Grund angeblicher Sachzwänge durch Sozialabbau und Privatisierung zu exekutieren.
Da Berlin keine Kommune, sondern ein Bundesland ist, kann der Bund keinen Haushaltskommissar schicken, der Berlin zwingt, seine restlichen Wohnungen zu verkaufen oder die Preise im subventionierten Nahverkehr zu verdoppeln (Vgl. Artikel 109 Abs. 1 GG). Die Klage des Saarlandes gegen den Bund zeigt gerade die Notwendigkeit, offensiv die Verantwortung des Bundes zu benennen, sich der Konsolidierungslogik zu verweigern und somit einen wichtigen Beitrag zum Widerstand gegen neoliberale Politik zu leisten.
Daher ist die Weigerung der WASG, weiteren Sozialabbaus zu betreiben, durchaus eine durch das Bundesrecht vorgegebene Handlungsoption. Berlin muss sie nur nutzen wollen.
Weitere Infos zum Standpunkt der WASG zur Haushaltspolitik finden Sie unter www.wasg-berlin.de in der Rubrik Debatte.
Mit Solidarischen Grüßen, Mario M. Sperling