Frage an Marina Kermer von Patrick N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kermer ,
Können Sie mir erklären warum Sie für ein Verhandlungsmandat für die Griechenland Hilfe gestimmt haben ? Das griechische Volk hat doch in einem demokratischem Referendum gegen ein solches und höchst unsoziales Paket gestimmt . Griechenland ist doch ein souveräner Staat , oder sehe ich das falsch . Wäre es nicht besser und auch fairer von deutscher Seite aus Griechenland mit einem Marshall- Plan und einem Schuldenerlass zu helfen ? Die Bundesrepublik hat diese Hilfe nach dem Grauen des 2 . Weltkrieges auch erhalten und eine parlamentarische Demokratie aufgebaut .
Mit freundlichen Gruß
Patrick Nitsch
Sehr geehrter Herr Nitsch,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 26. Juli 2015 über die Aufnahme von Verhandlungen für ein drittes Hilfspaket Griechenlands, dem ich am 17. Juli im Bundestag zugestimmt habe. Sie gibt mir die Gelegenheit zu erklären, warum ich nach Abwägung der Vor- und Nachteile überzeugt bin, dass die Grundsatzentscheidung für ein neues Programm richtig ist. Meine Schlussfolgerung lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Es ist die bessere Lösung für Griechenland, für Europa, für Deutschland.
Die demokratisch gewählte Regierung in Griechenland hat am 08. Juli 2015 einen Antrag auf ein dreijähriges Hilfsprogramm beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gestellt, nachdem sie sich zuvor geweigert hatte, die Bedingungen der europäischen Partner für die Verlängerung des seit 2012 laufenden Hilfsprogramms zu akzeptieren. Nach äußerst schwierigen Verhandlungen haben sich die Staats- und Regierungschefs der 19 Mitgliedsländer der Eurozone am 12./13. Juli auf einen Kompromiss verständigt, unter welchen Bedingungen ein neues Hilfsprogramm möglich wäre. Das direkt gewählte griechische Parlament hat diesen Kompromiss am 15. Juli mit großer Mehrheit gebilligt (229 der 300 Abgeordneten stimmten dafür) und bereits vier konkrete Gesetzesänderungen beschlossen, u.a. erste Elemente einer Mehrwertsteuerreform und einer Rentenreform.
Der aktuelle Vorschlag für ein drittes Anpassungsprogramm unterscheidet sich hinsichtlich der Programmdauer, des Programmvolumens und der angekündigten Möglichkeit für weitere Schuldenerleichterungen maßgeblich von der Verlängerung des zweiten Anpassungsprogramms. Er stellt damit eine echte Möglichkeit dar, Griechenland mit Hilfe seiner europäischen Partner auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen. Im Zentrum stehen nicht pure Haushaltsvorgaben und Sparziele, sondern strukturelle Verbesserungen der griechischen Wirtschaft und Verwaltung. Griechenland muss im eigenen Interesse endlich in die Lage versetzt werden, Steuern einzutreiben, eine effiziente Verwaltung aufzubauen, den Bürgern ein leistungsfähiges und finanzierbares Sozialsystem zu bieten und das teilweise oligarchische und verkrustete Wirtschaftssystem aufzubrechen. Nur dann können Staatseinnahmen und Investitionen dauerhaft steigen sowie dringend benötigte Arbeitsplätze entstehen. Nur dann kann das skandalöse Missverhältnis zwischen dem Reichtum einer traditionellen Elite und der deutlich zugenommenen Armut in der griechischen Bevölkerung endlich beendet werden. Und nur dann können die Verpflichtungen Griechenlands gegenüber seinen Gläubigern auch erfüllt werden. Denn das Ergebnis des Referendums darf nicht ignoriert werden: die Bevölkerung will keine einseitige Sparpolitik mehr, die nur der oberen Elite nützt.
Dazu sind Wachstumsimpulse unerlässlich. Die geplanten 12,5 Milliarden Euro Investitionsmittel aus dem Privatisierungsfonds sind ein guter Weg und werden ergänzt durch laufende EU-Förderprogramme im Rahmen von "Europa 2020". Ein historischer Vergleich mit der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg ist unpassend, die Bedingungen sind grundverschieden.
Die Alternative zu einer weiteren Chance für Griechenland wäre nämlich ein umgehender Staatsbankrott Griechenlands und ein ungeordnetes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Diese Alternative birgt aus meiner Sicht die deutlich größeren Gefahren. In Griechenland wären die Folgen verheerend: das Bankensystem würde zusammenbrechen, die medizinische Versorgung wäre nicht mehr gewährleistet, noch mehr Arbeitsplätze würden vernichtet, viele Griechinnen und Griechen würden in Armut absinken und müssten dann humanitäre Hilfe aus EU-Mitteln erhalten.
Über mögliche Schuldenerleichterungen oder sogar einen zweiten Schuldenschnitt sollte erst gesprochen werden, nachdem eine erste Programmüberprüfung erfolgreich abgeschlossen wurde. Die Position der SPD war immer, dass Solidarität in Europa keine Einbahnstraße sein kann. Wenn Europa solidarisch ist mit Griechenland und Milliardenkredite gibt, um Zeit zu gewinnen für Reformen, dann darf und muss Europa im Gegenzug erwarten, dass die griechische Politik die Entscheidungen trifft und umsetzt, die unabdingbar sind, um die Probleme in Griechenland zu lösen.
Die demokratisch gewählten Institutionen in Griechenland und die europäischen Institutionen sowie der Internationale Währungsfonds stehen vor einem langem Verhandlungsweg. Am Ende muss Griechenland sein Schicksal selbst bestimmen können, als vollwertiges Mitglied des Euroraumes. Wie Sigmar Gabriel in seiner Rede vor der Abstimmung im Bundestag richtig sagte, sollten wir alle großen Respekt vor diesem Kampf um Selbstbehauptung haben. Wir sind Partner, nicht Gegner, in der Umsetzung des Verhandlungsergebnisses.
Mit freundlichen Grüßen
Marina Kermer