Frage an Marieluise Beck von Jens S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Frau Beck
Sie kommen aus wie ich. Haben Sie eigentlich noch Zeit sich mit der Situation von Bremen zu beschäftigen? Die Bundespolitik geht sicherlich bei Ihnen vor. Wenn Sie die Zeit haben, würde mich sehr interessieren welches Thema ist Ihnen besonders wichtig was Bremen angeht?
Mit freundlichem Gruß,
Jens Schnitker
Sehr geehrter Herr Schnitker,
vielen Dank für Ihr Interesse.
Seit Beginn dieser Legislaturperiode bin ich Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Seither sind Weißrussland, die Ukraine, der Westbalkan, Russland, der Kaukasus und Zentralasien mein Wirkungsfeld. Der Kontakt in diese Länder orientiert sich im Wesentlichen auf die Unterstützung all der mutigen und unbeugsamen Menschen, die in diesen zumeist autoritär geführten Staaten die Keimzellen von zivilgesellschaftlichem Engagement sind.
Doch der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt nicht nur in diesen konfliktreichen Gebieten in der Frage nach Menschenrechten. Auch hier in Bremen gehen vor allem viele Migranten und Flüchtlinge einen schwierigen Weg durch die nicht immer wohlwollende deutsche Bürokratie. So begleite ich zur Zeit eine yezidisch irakische Familie, der es seit vier Jahren nicht gelingt, ihre drei Kinder aus dem Irak nach Deutschland nachzuholen; sowie eine junge Studentin, deren dreijähriger Sohn von seinem tunesischen Vater ins Ausland entführt worden ist.
Weiterhin ist es ist mir ein großes Anliegen, meine Erfahrungen mit den Bremerinnen und Bremern zu teilen. So hat es in diesem Jahr viele Runden gegeben, in denen wir schwierige Themen wie Afghanistan, die Zukunft der Nato, die mutige Arbeit der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial", die Kinderarbeit in der usbekischen Baumwollindustrie (wir Bremer handeln mit der in Usbekistan gepflanzten Baumwolle) und den Konflikt in Georgien diskutiert haben. Umgekehrt gehe ich in Bremer Einrichtungen hinein und lerne, dass in vielen Stadtteilen Bremens - so schwierig ihre Zusammensetzung auch sein mag - das Zusammenführen von Menschen unterschiedlichster Herkunft sehr gut gelingt.
Vorbildlich und effektiv zugleich ist dabei das Programm WIN - Wohnen in Nachbarschaft, das kleine Quartiersnetzwerke aufbaut, Foren für Bürgerverständigung bietet, gemeinsam über die Verwendung von Geldern entscheidet und den Zusammenhalt trotz größter Unterschiedlichkeit herstellt.In Huchting ist es der Kulturladen, der in großartiger Weise das Thema Flucht, Vertreibung und das neue Ankommen nicht nur bei Neueinwanderern sondern auch bei denen in Erinnerung zurückruft, die durch die Wirren des Zweiten Weltkrieges nach Bremen gekommen sind. Und in Tenever kennen alle Barlo alias Joachim Barloschky, der wie ein Held des Quartiers dafür kämpft, dass nicht viele von vornherein chancenlos sind.
Es gibt viele Herausforderungen in diesen Quartieren zu bewältigen, die Anforderungen an die Schulen und Lehrkräfte sind riesengroß, es gibt dreiste Machocliquen und es gibt Gewalt. Aber: es gibt auch unendlich viele, die nach einer Chance suchen, in diesem Land einen Platz zu finden.
Geschäftsgrundlage ist schlicht die Fairness: wir sind fair und bieten den Gekommenen eine Chance, sie sind fair und respektieren die Regeln unseres Gemeinwesens. Das gilt auch in Bremen. Dafür stehe ich ein.
Mit freundlichen Grüßen,
Marieluise Beck