Frage an Marieluise Beck von Wolfgang H. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Beck,
die Frage wie wir zu EINEM Europa kommen wurde mit dem Hebelansatz einer Währung auf den Weg gebracht. Inzwischen steht Europa mit diesem Ansatz vor einem Scherbenhaufen, der zeigt, dass die Mahner dieses Ansatzes recht hatten. Die kulturelle Ebene wird immer weiter zurückgedrängt, es gibt immer weniger kulturelle Identifikation, geschweige denn eine Antwort auf die Frage: wie wollen wir zusammen Leben?
Meiner Beobachtung nach wurde das zarte Pflänzchen Europa mit seiner Eigenständigkeit sehr früh aufgegeben. Ein Freiheitsimpuls nach dem Wegfall des eisernen Vorhangs wich einem kapitalistisch orientierten Verwaltungsmentalität, die mit dieser globalen Öffnung überfordert war und ist. Meinem Verständnis nach ist diese Überforderung die Ausgangslage, die für die Krise Europas und vieler Konflikte, an deren Anfang auch eine Zerschlagung Jugoslawiens mit Waffengewalt stand.
Als suchender Beobachter sehe ich folgendes Bild vor mir: wenn wir dem einzelnem Bürger keine eigenständige Sicherheit in einer sich global entwickelnden Welt geben, wird Ausgrenzung und Angst weiterhin die Regel bleiben. Weitere unlösbare Konflikte sind die Folge. In diesem Zusammenhang sehe ich das Bedingungslose Grundeinkommen als integrierenden Bestandteil für eine offene Gesellschaft, in der wir uns gegenseitig auf Augenhöhe begegnen können.
Natürlich ist das Bedingungslose Grundeinkommen nicht von heute auf morgen einzuführen, dennoch würde diese Zielrichtung ein Zeichen setzten und dem Bürger Vermitteln, das wir auf uns gegenseitig setzen.
Meinen Frage an Sie: haben Sie sich in der Vergangenheit für das Bedingungslose Grundeinkommen eingesetzt? Würden sie sich auch in Zukunft dafür einsetzen? Oder haben sie bedenken. Ich freue mich auf eine Antwort von Ihnen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Heimann
Sehr geehrter Herr Heimann,
es ist unübersehbar, dass die Währungs-, Finanz- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union auch weiterhin vor ernsten Herausforderungen steht. Die bestehenden Probleme sind offensichtlich grundlegender und strukturelle Art und nicht leicht zu lösen. Sich jetzt aber im Nachhinein auf die Seite der Skeptiker der Euro-Einführung zu stellen, hielte ich für zu kurz gegriffen. Die Einführung des Euro muss als Teil einer historische Entwicklung gesehen werden, in der es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs darum ging, die Chance für eine Überwindung der Spaltung von Jalta und für die Wiedervereinigung Deutschlands zu nutzen. Dabei sollte das wiedervereinigte Deutschland fest in europäische und atlantische Strukturen eingebunden sein. Denn die europäischen Nachbarn hatten vor dem Hintergrund der Geschichte verständlicherweise Sorge vor einem zu dominierenden Deutschland. Trotz aller heute bestehenden Probleme war es grundsätzlich eine richtige Entscheidung, die Europäische Union nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht nur zu erweitern sondern auch zu vertiefen.
Die Darstellung, die EU wäre dann in eine kapitalistische Verwaltungslogik verfallen, halte ich für nicht gerechtfertigt. Dem Beitritt der neuen Mitgliedsstaaten in Mittelost- und Südosteuropa sind über Jahre Verhandlungen vorangegangen. Die Länder selbst haben mit Unterstützung der Europäischen Kommission enorme Transformationsanstrengungen unternommen. Mit den Kopenhagener Kriterien ist eine ganze Reihe von Standards entwickelt worden, die uns in Europa eine gemeinsame Grundlage bieten. Mit dem Lissabon-Vertrag ist die Europäische Union noch einmal auf eine neue rechtliche Ebene gehoben und das Europäische Parlament gestärkt worden. All das ist nicht frei von Fehlern und Leerstellen, wie wir gerade im Bereich demokratischer Institutionen schmerzlich an den Beispielen Polens und Ungarns lernen müssen. Aber wir dürfen die Entwicklungen und enormen Leistungen der EU nicht klein reden. Und natürlich war die EU immer mehr als eine reine Wirtschaftsunion sondern vor allem ein historisch einmaliges Friedensprojekt, das für Demokratie und Menschenrechte steht. Die faktische Übernahme der Europäischen Menschenrechtskonvention in EU-Recht ist nur ein Ausdruck dessen.
Ich teile Ihre Ansicht, dass wir in Zeiten stürmischer Veränderungen leben, die die Grundfesten unserer Gesellschaft auf eine harte Probe stellen. Finanzkrisen, Globalisierung, Klimawandel, weltweite Migration, die digitale Revolution von Arbeits- und Lebenswelt, die Auflösung von religiösen Bezügen und traditionellen Geschlechterrollen führen in weiten Teilen der Bevölkerung zu Verunsicherungen und Zukunftssorgen. Es ist deshalb notwendig, dass wir eine Debatte darüber führen, wie wir in Zeiten der Veränderung wieder gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhalt sicherstellen können, wie wir die Bürgerinnen und Bürger befähigen, die Veränderungen zu meistern und als Chance zu begreifen, wie wir weltweite Globalisierung, Handel und Finanzen für eine bessere Zukunft aktiv gestalten können. Eine ergebnisoffene Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen gehört hier mit dazu. Meine Partei steht dem Konzept grundsätzlich offen gegenüber. Sie sieht es als eine mehrerer potentieller Möglichkeiten an, soziale Sicherung nachhaltig, solidarisch und armutsfest zu gestalten. Dafür sollen die Erfahrungen aus anderen Ländern berücksichtig und möglicherweise das Grundeinkommen in einem Modellprojekt erprobt werden. Und dann gilt es, in einem möglichst breiten Dialog in unserer Gesellschaft über Chancen und Risiken des Konzepts des Grundeinkommens offen zu diskutieren.
Mit freundlichen Grüßen
Marieluise Beck