Frage an Marieluise Beck von Nikola D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Beck
Ich beziehe mich auf Ihre Aussage vom 28.04.2008.
Zitat Absatz 1:
"Sie sprechen vom Bruch des Völkerrechts. Natürlich ist die Abtrennung eines Teils eines Staatsgebiets problematisch. Aber im Fall Kosovo hat uns das Völkerrecht keine eindeutige Antwort gegeben. Denn aus der UN-Charta geht nicht nur die Pflicht zur Beachtung der territorialen Integrität hervor, sondern auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Dieser Widerspruch lässt sich nicht auflösen, sondern nur im Einzelfall entscheiden."
Mir ist nicht ganz klar was Sie genau meinen. Sofern ich mich informiert habe besteht im Fall Kosovo kein Zweifel ob dies ein Völkerrechtsbruch ist oder nicht. Hier habe ich eine Frage: Regelt nicht das Völkerrecht die Selbstverwaltungsrechtsmässigkeit? Im Völkerrecht heisst es ja, dass man nur eine Autonomie innerhalb des Staates gewähren darf.
Zusätzlich möchte ich eine frage zu Ihrer Aussage im gleichen Beitrag, jedoch unter Absatz 4, stellen.
Zitat:
"Man darf aber nicht vergessen, dass der Ursprung des Konflikts in der jahrelangen Unterdrückung der Kosovo-Albaner liegt"
Soweit mein Erinnerungsvermögen reicht, wurden die Albaner während der Milosevic Ära unterdrückt, wenn auch nicht so wie es wir im Westen zu hören bekamen. Nach meiner Ansicht begann der Konflikt entscheidend aber schon viel früher. Schon während Tito-Jugoslawien wurden Serben von eingewanderten Albanern bei Übergriffen unterdrückt.
Meine Frage lautet: Ist der Konflikt nicht durch die Einwanderung der Albanern aus Albanien, welche sich nicht integrieren wollten, entstanden?
Link bezüglich der Einwanderung: http://alldeutschezeitung.com/?p=42
Ich persönlich studiere die politischen, geschichtlichen, als auch wirtschaftlichen Ereignisse auf dem Balkan seit nun mehr als 2 Jahren intensiv und haben grauenhaftes festgestellt. Ausserdem stammte ein Teil meiner Familie aus dem Kosovo.
Heute leben sie in Zentralserbien.
Für Ihre Antworten und Mühe danke ich im Voraus.
Freundliche Grüsse
Nikola Desancic
Sehr geehrter Herr Desancic,
vielen Dank für Ihre Frage.
Gegner der Unabhängigkeit des Kosovo sprechen immer wieder vom Bruch des Völkerrechts. Tatsächlich stehen sich in dieser Frage die zwei gegensätzlichen Prinzipien der territorialen Integrität einerseits und des Selbstbestimmungsrechts der Völker andererseits gegenüber. Es gibt im Völkerrecht jenseits der Regelung von Autonomie ein Recht auf Sezession. Dies gilt natürlich nicht uneingeschränkt für alle Völker, sondern nur unter der Voraussetzung, dass eine effektive Autonomie innerhalb des Staatengebildes nicht möglich ist. Für diese Interpretation spricht die lange Vorgeschichte des Kosovo - Konflikts. Die für eine effektive Autonomie notwendige Vertrauensgrundlage wurde aus albanischer Sicht von serbischer Seite zerstört. Schon seit Anfang der 90er Jahre, nachdem Milosevic dem Kosovo die Autonomierechte entzogen hatte, gab es dort die eindeutige und konsensuale Forderung nach staatlicher Unabhängigkeit.
Ihre Vermutung, der Ursprung des Konflikts liege in einer Unterdrückung der Serben durch eingewanderte Albaner, ist historisch nicht berechtigt. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass mit dem Neuentstehen Serbiens als Staat zwischen 1878 und 1915 das ganze Kosovo nach und nach unter serbische Herrschaft kam. Entscheidend waren dabei die Balkan-Kriege 1912/13, als Serbien unter anderem das bereits mehrheitlich von Albanern bewohnte Kosovo und das von slawischen Muslimen geprägte Gebiet des Sandschak eroberte. Damit wurde Serbien zu einem Vielvölkerstaat, war aber nicht bereit, die anderen Ethnien zu integrieren. Im Gegenteil: 1938 wollte Belgrad 40,000 albanische Familien in die Türkei zwangsumsiedeln. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderte die Umsetzung dieses Plans. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten praktizierte der serbische Staat im Kosovo Ausgrenzung und Verfolgung der Bevölkerungsmehrheit. Das gipfelte tragischerweise in den Massenvertreibungen unter Milosevic.
Noch eine letzte Anmerkung: Die von Ihnen als Quelle angegebene Internet-Seite ist nicht seriös. Sie ist extrem fremdenfeindlich und bedarf daher keiner weiteren Kommentierung.
Mit freundlichen Grüßen,
Marieluise Beck