Frage an Marieluise Beck von Peter L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Liebe Marie,
interessiert habe ich die Wahlen in Georgien verfolgt. Daher muss ich doch einmal nachfragen, wie Deine Sicht der Dinge als Osteuropa- und Zentralasien-Expertin ist?!
Von Solana bis zur Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik wird das Ergebnis und die Art der Wahl begrüßt, Bedenken kommen hingegen von OSZE und Georgischer Opposition - in unterschiedlich großer Gewichtung. Wem kann man denn nun Deiner Meinung nach glauben?
Und außerdem: Wie realistisch ist ein Beitritt Georgiens (und anderer Kaukasusländer) zur EU? Inwiefern hilft dabei die prowestliche Haltung Saakaschwilis? Muss erst die Türkei beigetreten sein, damit die Kaukasusstaaten beitreten können?
Beste Grüße
Peter Lehmann, MdBB a. D.
Lieber Peter,
vielen Dank für Deine Frage zu den Ereignissen in Georgien.
Noch immer ist keine Lösung des Konflikts zwischen Opposition und dem laut offiziellen Endergebnis im Amt bestätigten Präsidenten Saakaschwili in Sicht. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Lage nicht eskaliert. Was die Beurteilung des Wahlvorgangs betrifft, hat aus meiner Sicht die Einschätzung von ODIHR, dem „Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte“ der OSZE die größte Legitimität. Sie führten eine Langzeitwahlbeobachtung durch und können daher den Wahlvorgang in seiner Gesamtheit beurteilen, nicht nur am Wahltag selbst. Ihre Bewertung war kritisch, allerdings blieb diese Kritik etwas im Schatten der überwiegend positiven Reaktionen anderer Institutionen, wie Du sie auch genannt hast. Inzwischen hat ja sogar die Zentrale Wahlkommission Georgiens zugegeben, dass es zu Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung gekommen ist. Inwieweit diese Unregelmäßigkeiten das Wahlergebnis wesentlich beeinflusst haben und Saakaschwili in einer freien und fairen Wahl womöglich weniger als 50% bekommen hätte, ließe sich nur durch eine umfassende Untersuchung feststellen. Die wird es wohl leider nicht geben. Ich war selbst nicht vor Ort, aber für die grüne Fraktion war Rainder Steenblock als Wahlbeobachter in Georgien vertreten. Genauere Informationen und Eindrücke vom Wahlgang könntest Du von ihm bekommen.
Grundsätzlich muss der Westen aufpassen, nicht mit zweierlei Maß zu messen. Maßstäbe, die wir an Wahlen beispielsweise in Zentralasien und Russland legen, gelten genauso für die Länder, die sich, wie Georgien eher gen Westen orientieren. Sonst sind wir nicht glaubwürdig.
Wir Grünen befürworten grundsätzlich einen Beitritt der drei Kaukasusländer Georgien, Armenien und Aserbaidschan zur EU, natürlich unter der Bedingung, dass sie alle Voraussetzungen erfüllen und die Aufnahmefähigkeit der EU gesichert ist. Diese drei Länder nehmen derzeit an der EU Nachbarschaftspolitik (ENP) teil und haben sogenannte Aktionspläne mit der EU beschlossen. Im Rahmen der Nachbarschaftspolitik ist - im Unterschied zur Erweiterungspolitik – der EU-Beitritt aber nicht das erklärte Ziel. Bevor den Ländern des Südkaukasus eine solche Perspektive angeboten wird, muss meiner Einschätzung nach der Erweiterungsprozess mit dem westlichen Balkan abgeschlossen sein. Auf diese wichtige Herausforderung sollte sich die EU konzentrieren. Ich kann nicht beurteilen, ob erst die Türkei beigetreten sein muss, bevor den Ländern des Südkaukasus eine solche Möglichkeit gegeben wird. Mit der Türkei wird ja seit 2005 bereits über den Beitritt verhandelt, aber das könnte sich noch lange hinziehen. Für die Länder des Südkaukasus stellen vor allem die ungelösten territorialen Konflikte und schwierigen Beziehungen untereinander ein Hindernis für eine EU-Integration dar. Ich hoffe, dass die EU mit der Nachbarschaftspolitik hier eine stärkere und konstruktive Rolle spielen kann.
Marieluise Beck, MdB