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Marieluise Beck
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Frage von Horst B. •

Frage an Marieluise Beck von Horst B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Beck,

während Ihrer Zeit als Migrationsbeauftragte der rot-grünen Bundesregierung propagierten Sie während einer Sendung der ARD-Talkshow „Sabine Christiansen“ die multikulturelle Gesellschaft mit dem Hinweis, dass jeder Migrant eine Bereicherung für unser Land sei.

Angesichts der Ereignisse wie Rütli-Schule, Karikaturenstreit oder Moscheebau in Köln-Ehrenfeld sind mittlerweile auch Politiker des rot-grünen Spektrums auf kritische Distanz zu den Thesen des Multikulturalismus gegangen.

Wie sehen Sie die Problematik aktuell?

Eine weitere Frage:
In derselben Talkshow wurden sie auf die mittlerweile auch durch die Polizeistatistiken nicht mehr übersehbare erhöhte Gewaltkriminalitätsrate bestimmter Migrantengruppen angesprochen. Sie sagten daraufhin, die autochthone Bevölkerung müsse dies „aushalten“.

Würden Sie auch heute noch Opfer von Gewaltkriminalität als gewissermaßenen „Kolateralschaden“ auf dem Weg in die multikulturelle Gesellschaft in Kauf nehmen?

Viele Grüße,
Horst Brede

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Brede,

bitte entschuldigen Sie, dass sich die Beantwortung Ihrer Frage so lange hingezogen hat.

Ich habe in dieser Legislatur mein Aufgabenfeld geändert und bin Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Ich darf nun wieder an meine Menschenrechtsarbeit, die ich vor vielen Jahren schon auf dem Balkan, in Bosnien begonnen konnte, anknüpfen. Auch wenn ich also nicht mehr Integrationsbeauftragte bin, so möchte ich Ihnen auf Ihre Fragen natürlich antworten. Haben Sie zunächst besten Dank für Ihre kritischen Fragen und Anmerkungen. Ich möchte Ihnen gerne antworten.

Auch mich haben die Vorkommnisse von München sehr erschreckt. Und nein: ich bin nicht der Ansicht, dass man Gewalt, wie sie sich in den schrecklichen Vorfällen in den letzten Tagen ihren Weg gesucht hat , aushalten muss. Im Gegenteil: man muss mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Strafgesetzgebung gegen solche Täter vorgehen. Und trotzdem nach den Gründen der Täter und nach den Folgen für die Opfer fragen.

Ich glaube, dass unser Strafrecht genug Möglichkeiten bietet um die Gesellschaft vor solchen Straftätern zu schützen. Jugendgewalt ist allerdings durch populistische Debatten nicht zu bekämpfen. Im Gegenteil: Mit seiner Hetze gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund verschärft Roland Koch nur deren Ausgrenzung.

Wir brauchen stattdessen zweierlei: Erstens eine umfassende Präventionsstrategie, die verhindert, dass aus Kindern gewalttätige Jugendliche werden. Dazu gehören an erster Stelle ein Bildungssystem, das den für viele verhängnisvollen Zusammenhang von familiärem Hintergrund und Lebenschancen auflöst, und ein Zurücknehmen der Kürzungen im Bereich der Jugendhilfe. Und zweitens ein rasches wirksames Reagieren auf Gewalttaten mit Sanktionen und verhaltensändernden Maßnahmen. Das Jugendstrafrecht wird von der Union zu Unrecht schlecht geredet. Es fehlt nicht an harten Strafen, sondern an Richterinnen und Richtern, damit Jugendverfahren beschleunigt werden. Gerade in Hessen zum Beispiel warten jugendliche Straftäterinnen und Straftäter besonders lange auf ihre Verfahren. Es fehlt an Betreuerinnen und Betreuern sowie an Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in der Prävention wie bei der Bewährungsarbeit. Meine Fraktion hat dazu einen eigenen Antrag in den deutschen Bundestag eingebracht. http://dip.bundestag.de/btd/16/057/1605780.pdf

Zu ihrer zweiten Anmerkung:
Ich habe mich in der Sendung „ Sabine Christiansen“ im Januar 1999 als damalige Integrationsbeauftragte allgemein zu Menschen mit Migrationshintergund geäußert. Ich habe nicht gesagt, dass wir Gewalt von wem auch immer, aushalten müssen. Eine kulturelle Begründung für Gewalt lehne ich strikt ab. Ich habe damals aber gesagt, und das sehe ich auch immer noch so, dass wir Andersartigkeit in unser Gesellschaft aushalten müssen. Denn Einwanderung verändert Gesellschaften. Ein Blick in alte Einwanderungsgesllschaften wie die USA und Kanada verdeutlicht das. Inzwischen hat jedes vierte Kind in Deutschland Migrationhintergrund. Jede fünfte Ehe ist bintional. Deutschland ist ein multikulturelles Land, ein Einwanderungsland. Das ist eine Tatsache.

Integration ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Deutschland wird sich verändern, es hat sich längst verändert. Integration soll und muss aber auch die Fähigkeiten und Ressourcen der Einwanderer mit einbeziehen. Von türkischstämmigen Deutschen höre immer wieder die Frage: Warum ist es gut, wenn ein Kind muttersprachlich französisch spricht, aber nicht wenn es muttersprachlich türkisch spricht. Meiner Ansicht nach ist, ist beides gut. Solange beide Kinder auch gut Deutsch sprechen.

Für die Fragen des Zusammenlebens haben wir in Deutschland eine Basis. Das sind die Regeln es Grundgesetzes. Auf dieser guten Grundlage der Verfassung müssen wir Konflikte austragen. Verstöße dagegen sind nicht zu tolerieren. Ehrenmorde oder Zwangsverheiratung werden strafrechtlich verfolgt. Sie werden auf der Grundlage der Verfassung und der deutschen Strafgesetzgebung geahndet. Allerdings gehört zu diesen Regeln des Zusammenlebens auch das Recht auf Glaubensfreiheit.

Verstößt die Glaubensgemeinschaft nicht gegen die Basis des Zusammenlebens, hält sie sich an die Regeln des Grundgesetzes, so sehe ich keinen Grund ihr zu verbieten, sich Gotteshäuser zu bauen. Im Gegenteil: ich sehe solche Bauten als ein Zeichen der Integration der Einwanderer. Eine enge Abstimmung mit der Kommune vorab sollte aus Sicht der Communities, der Gemeinschaften der Einwanderer grundsätzlich erfolgen. Integrationspolitik kann nur mit den Einwanderern gemeinsam Erfolge bringen. Bei allen Schwierigkeiten, sollten wir miteinander, nicht übereinander sprechen.

Mit bestem Gruß
Marieluise Beck