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Marieluise Beck
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Frage von Philipp P. •

Frage an Marieluise Beck von Philipp P. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Frau Beck,

vor kurzem hat die US Army in Bremerhaven Kriegsgerät für die Operation „Atlantic Resolve“ entladen.
Laut US Regierung sollen die Truppen Frieden und Stabilität in den osteuropäischen NATO-Mitgliedsländern sichern.
In Anbetracht der aktuellen politischen Lage glaube ich jedoch nicht an friedliche Absichten.
Außerdem wird die Liste der US/NATO-Interventionen mit debattierbaren Grund immer länger:
- Brutkastenlüge vor dem 1en Golfkrieg
- die nicht nachgewiesenen Hufeisentaktik im Kosovo
- die nicht belegten/aufgefundenen Massenvernichtungswaffen im 2en Golfkrieg
- die mutmaßlichen Angriffen auf die lybische Zivilbevölkerung
- sowie die mutmaßlichen Angriffen auf die syrische Zivilbevölkerung

Der tödliche Beschuss von Demonstranten am 20 Februar 2014 in der Ukraine ist noch nicht vollständig aufgeklärt.
Und an der hierzulande akzeptierten Theorie gibt es erhebliche Zweifel, wie z.B. von Ivan Katchanovski in seiner Studie „The “Snipers’ Massacre” on the Maidan“.
http://www.voltairenet.org/IMG/pdf/The_Snipers_Massacre_on_the_Maidan_in_Uk-1.pdf

Außerdem haben die Diplomatin Victoria Nuland und der Botschafter Geoff Pyatt in einem mitgeschnittenen Telefonat bereits eine Beteiligung der USA am Putsch gegen die demokratisch legitimierte Regierung der Ukraine gestanden.

Wie stehen sie als Mandatsträgerin zu diesem vorgehen?
Und was werden Sie im Interesse der Bevölkerung unternehmen?

Mit freundlichen Grüßen
Philipp Ponitka

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Ponitka,

mit der Annexion der Halbinsel Krim hat Russland mit militärischer Gewalt Grenzen verschoben. In der Ostukraine führen von Russland unterstützte Freischärler Krieg gegen die Ukraine. Am 13. Juli 2017 erklärte der russische Außenminister Lawrow auf einer öffentlichen Veranstaltung in Berlin, Russland habe die Russisch sprechende Minderheit in der Ukraine nach dem Machtwechsel in Kiew schützen müssen. Es ist also verständlich, dass die baltischen Staaten, deren Bevölkerungen zum Teil über eine russischsprachige Minderheit von bis zu 30% verfügen, begründete Sorgen haben, Russland könnte unter dem gleichen Schutzvorwand auch hier einmarschieren.

Im Georgienkrieg war Russland in georgische Territorien einmarschiert. Seit dem ist Russland dauerhaft in den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien militärisch stationiert und betreibt den faktischen Anschluss dieser Gebiete an die Russische Föderation über die Ausgabe russischer Pässe und Sicherheitsabkommen. Direkt im Anschluss an den Georgienkrieg formulierte der damalige russische Präsident Medwedew fünf neue Leitlinien für die russische Außenpolitik. Diese sehen vor, dass die Russische Föderation es als Priorität ansieht, „Russen“ zu schützen, wo immer diese auch lebten, also auch im Ausland. Weiterhin verfüge Russland in bestimmten Regionen über „privilegierte Interessen“, was Beobachter als Machtanspruch für das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion auslegten, das in Russland mitunter als „nahes Ausland“ bezeichnet wird.

Da die baltischen Staaten mit dem Hitler-Stalin-Pakt von der Sowjetunion annektiert wurden und bis 1991 Teil des Imperiums blieben, ist die Sorge der baltischen Staaten vor einer möglichen russischen Aggression auch vor dem Hintergrund des Georgienkriegs, der Krim-Annexion und des Kriegs in der Ostukraine verständlich.

Zusätzlich beunruhigend sind die Großmanöver und sogenannte „Snap Exercises“, die seit 2009 wieder in Dimensionen durchführt werden, wie zuletzt zu Zeiten der Sowjetunion: Zapad (Westen) 2009, Zapad (Westen) 2013, Vostok (Osten) 2014, Tsentr (Zentrum) 2015, Kavkaz (Kaukasus) 2016. Bei diesen Manövern nahmen mit steigernder Tendenz zwischen 20.000 und 150.000 Soldatinnen und Soldaten teil. Bei Zapad 2013 wurden ein Jahr vor der Annexion der Krim dieselben Fähigkeiten mit denselben Einheiten geübt, die dann 2014 in der Ukraine zum Einsatz kamen. Tsentr 2015 gilt Beobachtern als Vorbereitung für den Syrieneinsatz.

Für September ist in Belarus und Russland das nächste Großmanöver Zapad (Westen) 2017 angekündigt, für das im Rahmen der OSZE wie bei den vorangegangenen Manövern offiziell knapp weniger als 13.000 Soldatinnen du Soldaten angemeldet wurden. Damit soll offensichtlich erneut das Wiener Dokument unterlaufen werden, das ab dieser Grenze Transparenzmaßnahmen gegenüber den anderen OSZE-Teilnehmerstaaten verlangt. Die von Russland bei der belarussischen Bahngesellschaft bestellten Transportkapazitäten für Zapad 2017 lassen einen deutlich größeren Umfang des Manövers vermuten.

Diese Großmanöver wie auch die dauerhafte Stationierung von mehreren russischen Divisionen entlang seiner Westgrenze sprechen eine klare Sprache, was das militärische Kräfteverhältnis in Osteuropa angeht. Die NATO hat im Zuge der Osterweiterung in Rücksichtnahme auf und Absprache mit Russland (siehe NATO-Russland-Akte von 1997) darauf verzichtet, dauerhaft Truppen in nennenswertem Umfang auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Pakts zu stationieren. Die neue Aufstellung der vier rotierenden NATO-Bataillone von je 1000 Soldatinnen und Soldaten in den baltischen Staaten und Polen wie auch die Operation „Atlantic Resolve“ mit 3.500 Soldatinnen und Soldaten, die auf das Baltikum, Polen, Rumänien, Bulgarien und Deutschland aufgeteilt wurden, können in diesem Zusammenhang nur eine symbolische Präsenz darstellen, die den besorgten Partnern in Osteuropa verdeutlichen soll, dass die Bündnisverpflichtung der NATO weiter gilt.

Der russischen Regierung ist selbstverständlich klar, dass diese überschaubaren NATO-Truppen keinerlei militärische Bedrohung für die russische Armee bedeuten. Die Rückversicherungsmaßnahmen der NATO sind ein politisches Signal an Russland, dass wir unsere Bündnisverpflichtung ernst nehmen. Solch Signale sind leider notwendig geworden, weil Russland mit seine militärischen Vorgehen in der Ukraine und der Annexion die Grundprinzipien der europäischen Sicherheitsordnung, wie sie mit der Schlussakte von Helsinki 1975 und der Charter von Paris 1990 gemeinsam beschlossen wurden, in Frage gestellt hat.

Es ist notwendig, die europäische Sicherheitsordnung mit den Prinzipien des Gewaltverzichts, gleicher Souveränität und territorialer Integrität aller Staaten wieder zu stärken. Hierbei ist die Sanktionspolitik ein wichtiges Instrument, um dem Kreml klar zu machen, dass wir das militärische Vorgehen Russlands in der Ukraine und die gravierende Verletzung der Friedensordnung nicht hinnehmen. Die Sanktionen sind zurecht von der EU an die Umsetzung des Minsk-2-Abkommens geknüpft worden. Das sieht zu allererst einen Waffenstillstand in der Ostukraine und den Abzug ausländischer Waffen und Kämpfer vor. Leider gibt es bislang kaum Hinweise darauf, dass Russland zu diesem Schritt bereit und tatsächlich an Frieden in Ostukraine interessiert ist. Weiterhin sterben täglich Menschen im Donbas.

Deutschland trägt historische Verantwortung angesichts der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs gegenüber allen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und den weiteren Länder, auf deren Territorien der Vernichtungskrieg tobte. Diese Verantwortung gilt zweifelsohne gegenüber Russland. Sie gilt aber ebenso auch gegenüber die Ukraine, Belarus, den baltischen Staaten und auch gegenüber Polen, das Hitler und Stalin 1941 mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt unter einander aufteilten und gemeinsam besetzten. Ich halte es für unsere historische Verantwortung, uns für die Sicherheitsinteressen der Staaten in Mittel- und Osteuropa einzusetzen. Sie mussten verheerende Erfahrungen mit den benachbarten Großmächten Deutschland und Russland machen, die sich mehrfach über ihre Köpfe hinweg und zu ihren Lasten einigten. Eine Achse Berlin-Moskau darf es in dieser Art nicht mehr geben.

Die von Ihnen angesprochenen Proteste auf dem ukrainischen Maidan begannen Ende 2013. Sie wurden durch die Ankündigung der ukrainischen Regierung, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vorerst nicht unterzeichnen zu wollen, ausgelöst. Erbarmungslos hat die Polizei versucht, die friedlichen Bürgerproteste, die sich in erster Linie gegen Korruption, Willkür und Unrecht richteten, mit Gewalt und auch mit Schusswaffen niederzuschlagen. Was auf dem Maidan an den Tagen vom 18. bis 20. Februar 2014 genau geschah, muss weiter aufgeklärt werden.

Mit freundlichen Grüßen,
Marieluise Beck