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Marieluise Beck
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Frage von Hildegund Dr. med. M. •

Frage an Marieluise Beck von Hildegund Dr. med. M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Beck,

Sie stimmen an diesem Freitag im Bundestag über den Bundeswehreinsatz in Syrien ab. Sind Sie der Meinung, dass über eine so gefährliche wie umstrittene militärische Mission im Eilverfahren entschieden werden kann und dass Sie sich selbst und als Mandatsträger ausreichend informieren und mit dem Bürgerwillen auseinandersetzen konnten? Wir, Mitglieder der Bremer Regionalgruppe der Deutschen Sektion der IPPNW, verurteilen deutsche Militäreinsätze in Syrien, die zudem nicht völkerrechtlich legitimiert sind, entschieden, weil durch diese die Gefahr einer internationalen Eskalation des Konflikts erhöht wird und nach den Erfahrungen der letzten Jahre der Extremismus durch Militäraktionen eher gestärkt statt geschwächt wurde. Wir fordern Sie deshalb auf, bei der Abstimmung die Militäreinsätze in Syrien abzulehnen, und setzen Sie sich stattdessen mit allen zur Verfügung stehenden diplomatischen Mitteln dafür ein, den Konflikt zu entschärfen wie die entschiedene Fortführung der Verhandlungen aller Kriegsparteien in Wien, den Stopp aller Rüstungsexporte in die Region und Verhinderung von Finanzierungen und Einnahmen des Terrorsystems IS.

Mit freundlichen Grüßen

Hildegund Mikoteit

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Dr. Mikoteit,

vielen Dank für Ihre Anfrage an Marieluise Beck. Frau Beck hat ihre Argumentation zur heutigen Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr in Syrien zusammengefasst. Sie finden sie angefügt.

Mit freundlichen Grüßen

Karen Stroink

Zur anstehenden Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr in Syrien

Die verheerenden Terroranschläge in Paris galten nicht allein Frankreich, sondern richten sich gegen das liberale Europa und unsere säkulare, pluralistische Lebensweise. Präsident Hollande hat sich mit der Bitte um Beistand bewusst nicht an die NATO gewandt, sondern an die Solidarität der Europäischen Union appelliert. Wer jetzt Frankreich die erbetene militärische Unterstützung verweigert, läuft Gefahr, die gegenseitige Solidarität - den Kernbestand der europäischen Idee - noch weiter zu unterhöhlen, als es ohnehin schon der Fall ist. Unsere grünen Freunde in Frankreich haben dem Einsatz in Syrien zugestimmt. Wie immer man entscheidet: man muss reflektieren, was diese Entscheidung für das deutsch-französische Verhältnis bedeutet.

Eine deutsche Verweigerung gibt der französischen Rechten das Argument an die Hand, nicht die ungeliebte EU, sondern das "partnerschaftliche" Russland stehe der Nation bei. Die Propaganda des Kreml wird daraus einen Vorteil zu ziehen wissen.

Das Argument, man dürfe in Syrien keinen Krieg führen, verstellt den Blick auf eine unbequeme Realität: der Krieg ist in Syrien seit Jahren blutige Wirklichkeit. Es geht also um die Frage, wie ein Krieg beendet werden kann, damit Raum für eine politische Lösung geschaffen wird.

Allein durch Einschränkung der ausländischen Finanzströme und des Ölhandels mit dem IS lässt sich der Terror nicht austrocknen. Die wichtigste (Finanz)Ressource des IS ist die unter seiner Kontrolle stehende Bevölkerung und seine Fähigkeit, Tausende Dschihadisten aus aller Welt anzuziehen, zu trainieren und in den Kampf zu schicken. Diese Ressourcen wird man nur einschränken können, wenn man dem IS wieder Territorium abringt.

Der Krieg in Syrien ist ausgebrochen, weil Assad mit brutaler Gewalt gegen große Teile der Bevölkerung vorging, die sich gegen seine despotische Herrschaft auflehnten. Zehntausende sind verhaftet, verschwunden oder gefoltert worden. Als es für dieses verbrecherische Regime immer enger wurde, kamen der Iran, die Hisbollah und die russische militärische Aufrüstung Assad zu Hilfe. Der IS kämpfte sich in Gebiete vor, die die Freie Syrische Armee erobert hatte. Assads Armee bekämpfte nicht den IS, sondern überzog die eigene Bevölkerung mit chemischen Waffen und Fassbomben. Assad hat den weit überwiegenden Teil der mehr als 220 000 Toten zu verantworten. Er ist auch verantwortlich für den übergroßen Teil der syrischen Flüchtlinge.

Das erklärte Ziel Russlands ist es, Assad an der Macht zu halten. Bisher haben die russischen Luftangriffe den Rebellen und kaum dem IS gegolten. Sie waren und sind mit hohen Verlusten in der Zivilbevölkerung verbunden und haben die Flüchtlingskrise verschärft.

Zugleich wird in Syrien ein Konflikt zwischen benachbarten Mächten ausgetragen. Der Iran will Assad als Verbündeten an der Macht halten und bekämpft mit eigenen Truppen die Rebellen. Saudi-Arabien und Katar wollen eine Vormachtstellung des Iran in Syrien verhindern und unterstützen die Rebellen. Sie haben aus demselben Grund aber auch lange den IS gestützt. Die Türkei hat ihrerseits ein zumindest undurchsichtiges Verhältnis zum IS und bekämpft die einzige erfolgreiche Kraft, die vermocht hat, den IS zurückzudrängen - die kurdischen Kämpfer. Sie waren erfolgreich im Zusammenhang mit der Luftunterstützung durch die Koalition der USA mit Frankreich und zahlreichen anderen Staaten.

Die Entscheidung von Präsident Putin, mit der Luftwaffe und Spezialeinheiten am Boden in den Krieg einzugreifen, hat das Assad-Regime aus der Defensive geholt. Gleichzeitig hat die Stationierung hochmoderner russischer Flugabwehrsysteme (S 300 und S 400) das Kräfteverhältnis massiv zugunsten russischer Konditionen verschoben. Russland kontrolliert damit faktisch den Luftraum über Syrien bis weit hinein in die Türkei und Israel. Die USA fliegen derzeit kaum mehr Einsätze und müssen wegen der Kontrolle des Luftraumes durch Russland dort anfragen, bevor sie fliegen können.

Es ist bisher nicht geklärt, ob es eine Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen gegeben hat. Es ist nicht klar, ob die Türkei und Russland sich mit den westlichen Alliierten darauf verständigt haben, ausschließlich gegen den IS und nicht gegen die Freie Syrische Armee und andere unabhängige Rebellengruppen vorzugehen. Auch die Frage nach einem gemeinsamen Militärkommando mit Russland ist ungeklärt. Strebt die westliche Allianz ein solches Bündnis an - und wenn ja, mit welchen Zielen und zu welchen Bedingungen?

Sowohl der französische Außenminister als auch die deutsche Verteidigungsministerin sprechen von der Assad-Armee als möglichem Partner im Kampf am Boden. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Intervention ein bipolares Machtsystem herbeiführen wird: auf der einen Seite der IS und auf der anderen Seite ein gestärktes Assad-Regime. Die Freie Syrische Armee, so heterogen sie auch ist, droht zerrieben zu werden, wenn sie weiterhin das Ziel der Truppen Assads bleibt. Das wird große Teile der sunnitischen Milizen dem IS in die Arme treiben. Der IS würde damit faktisch gestärkt. Die Kurden drohen zwischen die Mühlsteine zu geraten. Die Botschaft in der syrischen Opposition (und weit darüber hinaus) wird sein: auf den Westen ist kein Verlass. Die Gewalt in Syrien und der Region würde weiter eskalieren.

Alle diese ungeklärten Fragen müssen vor einer Einsatzentscheidung geklärt sein. Sonst wird ein Einsatz beschlossen, bei dem die Teilnehmer an dieser vermeintlichen Anti-IS-Operation entgegengesetzte Ziele verfolgen und in der Konsequenz den IS stärken. Angesichts der Wankelmütigkeit des Westens droht diese Intervention zu einem Debakel zu werden, in dem letztlich der russische Präsident den Takt vorgibt und seine strategischen Interessen durchsetzt.

Es fehlt zudem die Erklärung, dass man angesichts der militärischen Zusammenarbeit mit Russland in Syrien keine Zugeständnisse an einem anderen Ort des russischen geostrategischen Interesses machen wird, nämlich in der Ukraine.

Bisher steht bei dieser Entscheidung demgemäß nur die Alternative zwischen schlecht und schlechter zur Wahl. Noch hoffe ich darauf, dass die Bundesregierung auf diese gestellten Fragen eine Antwort gibt, um zu einer sachgerechten Entscheidung kommen zu können.

Bleibt es bei den offenen Fragen, kann man dem Einsatz nicht zustimmen. So bleibt nur die Wahl zwischen Enthaltung und Nein. Eine Ablehnung allerdings würde das dringend notwenige unverbrüchliche Bündnis zwischen Frankreich und Deutschland in Frage stellen. Eine Enthaltung - auch wenn sie angesichts des Gewichts der Entscheidung ungewöhnlich sein mag - kann dem politischen Dilemma Ausdruck verleihen: "Ja", weil der IS auch militärisch bekämpft werden muss und das deutsch-französische Bündnis der elementare Kern der europäischen Union bleiben muss. "Nein", weil die politischen Rahmenbedingungen dieses Einsatzes in fundamentalen Fragen bisher ungeklärt geblieben sind.