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Marieluise Beck
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Frage von Jens K. •

Frage an Marieluise Beck von Jens K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Beck,

in der Süddeutschen kritisieren Sie gerade das prinzipielle Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie beklagen fehlendes Mitgefühl der Deutschen für die Opfer des Kriegs.

In offensichtlich genauer Kenntnis des Wortlautes des Kriegswaffenkontrollgesetzes fragen Sie: "Wo kommt der entschiedene Unwille her, in der Ukraine zwischen Angreifern und Angegriffenen zu unterscheiden?"

"Es gebe nicht zwei gleichermaßen schuldige Kriegsparteien in der Ukraine. "Es gibt Angreifer und Verteidiger. Aus meiner Sicht darf man das nicht länger leugnen", sagt sie der Süddeutschen Zeitung."

Das, sehr geehrte Frau Marieluise Beck, sehe ich ganz anders, als Sie. Es ist überhaupt nicht so klar, wer hier was - auch und vor allem im Vorfeld - initiiert hat. Es gibt die Tatsache der geopolitischen Interessen der USA und Zbigniew Brzeziński hat diese klar formuliert. Darüberhinaus gibt es die Tatsache, dass die Nato entgegen mündlicher Zusagen seit 1990 immer weiter an Russland herangerückt ist und sich ein Putin eingekreist fühlen muss.

Aus meiner Sicht darf man DAS nicht länger leugnen.

Und nun kommen wir wieder zum Kriegswaffenkontrollgesetz, in dem Sie lesen können: "Ebenfalls dürfen Kriegswaffen dann nicht exportiert werden, wenn Grund zur Annahme besteht, dass dies die Erfüllung von Deutschlands völkerrechtlicher Pflichten gefährden würde oder die Käufer nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen."

Und genau diese Zuverlässigkeit fehlt mir bei der "Regierung" der Ukraine, welche bei den "Wahlen" noch nicht mal mit der verfassungsgemäßen Mehrheit von 75% der Stimmen gewählt wurde, sondern deutlich darunter landete und in der darüber hinaus auch noch eine Anzahl von bekennenden Faschisten sitzen - Leute, deren Anhänger mit SS-Runen unterwegs sind.

Und diesen Leuten, wollen Sie Waffen liefern ?

Ich hätte von Ihnen gern eine Antwort, warum Sie sich soweit von den Grundprinzipien einer grünen Partei entfernen konnten.

MfG,
Jens Käschel.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Käschel,

es gibt in der Tat in der hiesigen Debatte häufig Darstellungen des Kriegs in der Ukraine, die den Unterschied zwischen Aggressor und Angegriffenem zu nivellieren versuchen. Es ist jedoch eindeutig, dass es in diesem Krieg einen Aggressor und einen Angegriffenen gibt. Der Kreml hat unter Waffengewalt die Krim besetzt, dies durch ein Pseudo-Referendum unter Missachtung internationaler Standards „legitimiert“ und die ukrainische Halbinsel schließlich völkerrechtswidrig annektiert. Während diese Vorgänge wochenlang geleugnet wurden, gab Präsident Putin die aktive Rolle russischer Truppen bei der Eingliederung der Krim im Nachhinein offen zu. Im Osten der Ukraine führen von Russland angestiftete und mit Waffen, Panzern, Kämpfern und Soldaten unterstützte Milizen Krieg gegen die Ukraine.

Es ist umstritten, ob es die vielbemühte angebliche mündliche Zusicherung über die NATO-Osterweiterung gegeben hat. Michail Gorbatschow selbst, aber auch Hans Dietrich Genscher und andere Beteiligte von damals bestreiten das. Es gibt relativ überzeugende historische Darstellungen, nach denen die Frage in den Verhandlungen über die deutsche Einheit zwischenzeitlich von deutscher Seite mit Blick auf das Territorium der DDR als Angebot auf den Tisch gelegt wurde – genauso wie die grundsätzliche Frage der NATO-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands diskutiert wurde. Letztlich ist man aber bis zum Abschluss der 4+2-Verträge nicht auf die Frage der Nato-Osterweiterung zurückgekommen und hat dies in den Verträgen und Verhandlungen nicht weiter berücksichtigt – zumal zur Zeit des Vertragsschlusses der Warschauer Pakt noch bestand und eine Osterweiterung der NATO als undenkbar erschien.

In den vergangenen 25 Jahren gab es auf Seiten von NATO und EU viel Bemühen um ein partnerschaftliches Verhältnis zu Russland. In den 1990ern erhielt Russland 50 Mrd. US-Dollar von IWF, EU und USA, um einen Staatsbankrott abzuwenden. Russland sollte Atommacht bleiben, während Weißrussland, Kasachstan und die Ukraine vom Westen im Sinne der Abrüstung zur Abgabe ihrer Atomwaffen an Russland gedrängt wurden, wofür Russland und andere Atommächte mit dem Budapester Memorandum 1994 die Integrität der ukrainischen Staatsgrenze garantierten. Russland wurde in IWF, Weltbank, G8, G20 und WTO aufgenommen. Es ist eines von fünf Veto-Mächten im UN-Sicherheitsrat. Ab 1997 erhielt Russland mit dem NATO-Russland-Rat als einziges nicht-NATO-Land Sitz im und Zutritt zum NATO-Hauptquartier und wurde zu relevanten sicherheitspolitischen Entscheidungen konsultiert. Die NATO hat im Zuge der ersten NATO-Osterweiterung 1999 als vertrauensbildende Maßnahme mit Russland die NATO-Russland-Akte ausgehandelt und hierin sich verpflichtet, auf die Stationierung von NATO-Truppen in den neuen Mitgliedsländern zu verzichten. Die Prinzipien der Helsinki-Schlussakte von 1975 und der folgenden und von allen Nachfolgestaaten der Sowjetunion unterzeichneten OSZE-Dokumente sehen neben der territorialen Souveränität ausdrücklich die Bündnisfreiheit vor. Dennoch sprachen sich Deutschland und andere Staaten beim NATO-Gipfel 2008 aus Rücksicht auf Russland gegen die von Georgien und der Ukraine gewünschte Annäherung an die NATO aus. 2009 folgte Obamas Reset-Politik gegenüber Russland. Von der EU und insbesondere Deutschland gab es das Bemühen um eine strategische und später Modernisierungspartnerschaft mit Russland.

Die Einkreisungsthese ist ein Mythos, der von Putin gezielt genutzt wird, um sich als Verteidiger eines von außen bedrohten Russlands zu inszenieren – was nicht den Tatsachen entspricht. Auch ein Blick auf die Landkarte führt diese These ad absurdum. Bis auf das Baltikum und Norwegen gibt es keine direkte Landgrenze zwischen Russland und der NATO. Es ist Russland unter Putin – und nicht der Westen – das seinen Kurs geändert und von einer kooperativen zu einer immer konfrontativeren Politik übergegangen ist.
In der aktuellen Krise ist die die EU, und nicht etwa die USA, der entscheidende Akteur. Die Europäische Union schloss 2014 mit der Ukraine eine Assoziierung ab und bemüht sich aktuell diplomatisch um die Eingrenzung der russischen Aggression in der Ukraine. Schließlich geht es um den Erhalt der europäischen Friedensordnung, die mit der Helsinki-Schlussakte 1975 begründet wurde und derzeit mit dem militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine samt gewaltsamer Grenzverschiebungen infrage gestellt wird.
Die russischen Interessen in der Ukraine sind überdeutlich. Der Kreml versucht mit einer Destabilisierungspolitik, den vom Euro-Maidan angestoßenen demokratischen Wandel der Ukraine zu vereiteln. Eine erfolgreiche Transformation in der Ukraine hätte größte „Ansteckungsgefahren“ für Russland. Dies würde die autoritäre Macht Putins gefährden, der den Unmut der russischen Bevölkerung bereits bei seiner Kandidatur und Wahl zur dritten Amtszeit 2012 eindrucksvoll zu spüren bekam. Putin reagierte auf die innenpolitische Machtbedrohung und das Menetekel des Euro-Maidan in Kiew mit einem scharfen Großnationalismus.

Die aktuelle ukrainische Regierung wurde legitim und entsprechend der Verfassung vom neu gewählten Parlament ins Amt eingesetzt. Die rechtspopulistische Partei Swoboda und der Rechte Sektor erhielten zusammen bei den Wahlen im Oktober 2014 weniger als zwei Prozent der Stimmen und verfehlten den Einzug ins neue Parlament. Ihre Vertreter sind nicht an der Regierung beteiligt.

Ich habe in dem von Ihnen zitierten Artikel auf Süddeutsche-Online keine Waffenlieferungen gefordert. Mein Standpunkt ist, dass ich Zweifel habe, ob Waffen der Ukraine in der gegenwärtigen Situation tatsächlich helfen könnten. Ein kategorisches Nein zu jeder Art der Lieferung von Rüstungsgütern einschließlich Schutzausrüstung halte ich für falsch. Notwendig ist meines Erachtens eine ehrliche Diskussion, bei der das pro und contra verschiedener Optionen abgewogen werden muss.

Der Krieg in Bosnien Anfang der 1990er-Jahre hat mich gelehrt, dass jede Entscheidung in solchen Zeiten ethisch problematisch ist: Auch das Nichts-Tun führt zu Tod und Vertreibung. Das haben wir spätestens mit Srebrenica gelernt. Auch für den Einsatz von Waffen wird es nie eine konfliktfreie Entscheidung geben. Es besteht die Gefahr, zur von Russland betriebenen Eskalation beizutragen. Mir ist aber wichtig, darüber offen zu sprechen und nicht von vornherein jegliches Recht auf Selbstverteidigung zu delegitimieren. Täten wir das, würden wir als Deutsche auch die Gegenwehr der Franzosen, der Polen, der sowjetischen Armee delegitimieren, die sich gegen die Aggression aus Nazi-Deutschland zur Wehr gesetzt haben.

Insofern sehe ich mit mich vollständig innerhalb der Grundprinzipien von Bündnis 90/Die Grünen, wenn ich ein offenes Nachdenken über den Schutz der Angegriffenen vor Aggression anmahne. Und natürlich haben die Grünen nach Srebrenica anerkannt, dass militärische Gewalt als ultima ratio in bestimmten Situationen erlaubt ist oder gar geboten sein kann. Dies ist auch einer der Grundsätze der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect), die die Vereinten Nationen als Lehre aus den Völkermorden in Ruanda und Srebrenica gezogen hat und inzwischen im internationalen Völkerrecht verankerte.

Mit freundlichen Grüßen
Marieluise Beck