Frage an Marieluise Beck von Ottmar M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Beck,
im DLF Interview vom 23.12.13 zum Fall Chordokowski erklärten Sie, daß es eine „turbulente“ Zeit gewesen sei, in der Chordokowski zu seinem Vermögen gekommen sei. Was heißt das konkret? Hat der Mann sein Vermögen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen und damit rechtmäßig erworben oder nicht? Wenn nicht, was ist dann so kritikwürdig am Vorgehen des russischen Staates gegen Chordokowski? Der EuGH konnte im Übrigen bei seiner Entscheidung auch kein politisches Urteil der russischen Justiz erkennen. Wenn ich mich recht erinnere, hat der Deutsche Bundestag 1994 die Änderung der Bodenreformregelung von DDR-Ministerpräsident Modrow vom Februar 1990 für unwirksam erklärt, u.a. mit der Begründung mangelnder Rechtsstaatlichkeit. D.h., den davon Betroffenen wurde das ihnen zuvor (unrechtmäßig?) zugesprochene Eigentum rechtsstaatlich (?) wieder entzogen. Wo ist denn da nun der Unterschied zu Russland? Oder sollte allen russischen Oligarchen, die so wie Chordokowski zu Vermögen gelangt sind, das Eigentum per Gesetz entzogen werden? Zahlte Chordokowski eigentlich mit seinem Ölkonzern Yukos ordnungsgemäß Steuern, Frau Beck? Der US-Gefreite Manning machte die Kriegsverbrechen der US-Armee in den Kriegen in Afghanistan und Irak durch die Weitergabe von Informationen an die Plattform wikileaks öffentlich und wurde dafür verurteilt, gegen die Verantwortlichen für die Verbrechen hingegen wurden keine Verfahren eingeleitet. Ist das nun rechtsstaatlich? Wenn Sie für Menschenrechte, gegen politische Justiz usw. eintreten, warum fordern Sie dann nicht die Freilassung Mannings? Oder handelt es sich hier nicht um ein politisches Urteil? Wäre der Auftritt der Gruppe Pussy riot zum Beispiel im Berliner Dom statthaft oder hätten die Damen hier auch strafrechtliche Konsequenzen zu erwarten?
O. Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
die Freilassung von Michail Chodorkowski setzt für mich einen Endpunkt hinter ein acht Jahre währendes Engagement. Ich stand in engem Kontakt zu ihm, seinen Anwälten und seiner Familie. Viele Namenlose sind nach wie vor in Haft. Es gibt weiterhin viel zu tun.
Es gab viel Zustimmung, aber auch viele kritische Fragen zu meinem Engagement für Chodorkowski. Manche Bürgerinnen und Bürger möchten nur ihre Vorurteile pflegen. Denen, die sich mit durchaus berechtigten Fragestellungen auseinandersetzen, stehe ich gerne Rede und Antwort. Das setzt allerdings voraus, dass die Adressaten auch bereit sind, Argumente nachzuvollziehen, die sehr detailliert und manchmal auch juristisch sind - es geht schließlich um Menschenrechte als Ansprüche der Bürger gegenüber ihrem Staat. Das ist auch die Agenda von Amnesty International, mit denen ich sehr eng zusammenarbeite.
Zunächst einmal sollte klar sein, dass auch reiche Menschen das Recht auf Rechte haben. Die Frage ist, a) ob ihnen ein faires Verfahren zuteil wurde und b) ob dieses Verfahren politisch motiviert war. Erst dann entscheidet sich z.B. Amnesty International (die Gewaltfreiheit vorausgesetzt) einen Häftling zu adoptieren, wie sie es auch mit Chodorkowski taten.
Der Reichtum der russischen sogenannten "Oligarchen" ist in der Tat atemberaubend. Aber auch hier ist die Frage: Wann und wie kam dieser Reichtum zustande? Die 1990er Jahre unter Jelzin bedeuteten ein Russland im Chaos, mit vielen rechtlichen Grauzonen und einer darniederliegenden Produktion. Nur in so einem Umfeld konnten mit solcher Geschwindigkeit große Vermögen entstehen wie. z. B. die von Deripaska, Abramovich, Prochorov, und eben auch das von Chodorkowski.
Nur - keiner von ihnen wurde dafür vor Gericht gestellt. Nur Chodorkowski, der verstanden hatte, dass ein modernes Russland ohne eine freie Zivilgesellschaft und politische Pluralität nicht entstehen kann und diese nach Kräften förderte, landete mit rechtlich unhaltbaren Verfahren vor Gericht.
Chodorkowski wurde nicht umsonst von dem bekanntesten Menschenrechtsanwalt Jurij Schmidt verteidigt, ein Kind des Gulags. Er kämpfte um das Recht und um politische Freiheit - und die hat unter der Vertikale der Macht von Putin immer mehr abgenommen.
Insofern erlangte der Umgang mit Chodorkowski eine symbolhafte Bedeutung. Nicht grundlos haben die Frauen von „Pussy Riot“ ihn aufgefordert, als nächster Präsidentschaftskandidat gegen Putin anzutreten (was er vermutlich nicht tun kann, weil er wieder inhaftiert wäre, wenn er die Grenze zu Russland überträte).
Mit freundlichen Grüßen,
Marieluise Beck