Warum hat die Grünen-Fraktion beim Thema Suizidhilfe, anders als beim Thema Schwangerschaftsabbrüche, keinen einheitlichen liberalen Standpunkt?
Hallo, Sie haben folgendes in Bezug auf Ihre Fraktion erklärt: "Wir wollen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken und setzen uns schon lange für eine differenzierte Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches ein". Jetzt frage ich mich, wieso das nicht auch beim Thema Suizidhilfe möglich ist. Bei beiden Themen geht es um Leben und Tod. Der Unterschied ist jedoch, dass bei der Suizidhilfe die Person, die stirbt oder weiterlebt, sich selbst für eine der beiden Optionen entscheidet. Es basiert also im Gegensatz zu Schwangerschaftsabbrüchen, bei denen das ungeborene Lebewesen nicht befragt werden kann, vollkommen auf Freiwilligkeit. Also sollte es doch beim Thema Suizidhilfe noch einfacher sein, sich auf einen gemeinsamen liberalen Standpunkt der gesamten Fraktion zu einigen. Leider hat letzten Sommer ca. ein Drittel der anwesenden Abgeordneten der Grünen (Sie auch) gegen den Gesetzentwurf gestimmt, der Suizidhilfe außerhalb des Strafrechts geregelt hätte.
Sehr geehrter Herr T.
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Suizidhilfe. Am 06.07.2023 fand im Plenum des Deutschen Bundestages die Debatte zur Reform der Sterbehilfe statt, wobei die beiden Gruppenanträge um Dr. Lars Castellucci und Dr. Kirsten Kappert-Gonther u.a., bzw. um Katrin Helling-Plahr, Dr. Till Steffen, Renate Künast u.a., jeweils keine erforderliche Mehrheit in der namentlichen Abstimmung erreicht haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 26.02.2020 ausgeführt, dass es ein Recht auf eine eigenverantwortliche Entscheidung zum assistierten Suizid gibt und auf Grundlage seiner Erwägungen den bisherigen § 217 StGB für nichtig erklärt. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht aber auch betont, dass dies nicht ausschließt, dass der Gesetzgeber die Suizidhilfe unter Achtung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe neu regulieren darf. Es hat dabei verdeutlicht, dass aber auch das Leben zu schützen ist und wegen der Unumkehrbarkeit der Entscheidung zu klären ist, ob die persönliche Entscheidung dauerhaft ist und eigenverantwortlich getroffen wurde. Dabei betont das Gericht, dass das Verlangen zu sterben häufig ambivalent und wechselhaft ist. Zudem bergen psychische Erkrankungen ein erhebliches Risiko für eine freie selbstbestimmte Suizidentscheidung. Deshalb ist die Klärung der Frage, ob es sich um einen dauerhaften Wunsch und eine eigenverantwortlich getroffene Entscheidung zum assistierten Suizid handelt, von besonderer Bedeutung.
Aus meinem Verständnis wurde der Gesetzesentwurf von Castellucci, Kappert- Gonther u.a. dem Auftrag, eine Möglichkeit zum assistieren Suizid zu schaffen und zugleich dem staatlichen Auftrag zum Schutz des Lebens gerecht zu werden, am besten gerecht. Denn gewerbliche Interessen dürfen im Zusammenhang mit dieser so grundlegenden, existentiellen Frage keine Rolle spielen und müssen auch strafrechtlich geahndet werden können.
Ich war sehr froh, dass mit dem gemeinsamen Antrag der Abgeordneten klare und konkret benannte Maßnahmen zur Suizidprävention benannt wurden. Damit kamen wir der gemeinsamen Verantwortung der Parlamentarier nach, dafür zu sorgen, dass Menschen nicht durch ihre Lebensumstände in den assistierten Suizid gedrängt werden. Wenn Menschen den Wunsch äußern sterben zu wollen, liegt dem häufig das Empfinden zu Grunde, nicht mehr so wie bisher weiterleben zu können, sie sehen keinen Ausweg, fühlen sich als Belastung oder leiden an unerträglichen Schmerzen. Wir müssen sicherstellen, dass Menschen in diesen Situationen die bestmögliche Hilfe und Unterstützung erfahren.
Wir dürfen nicht zulassen, dass es zur gesellschaftlichen Normalität wird, Leben als nicht lebenswert zu bewerten, wenn Hilfe-, Pflege- und Unterstützungsbedarf besteht. Dies ist umso bedeutender in einer Situation, in der die Zahl hochbetagter Menschen weiter deutlich ansteigt. Über 80 Prozent der Pflegebedürftigen wird zu Hause von Partnern, Angehörigen, Freunden gepflegt. Gleichzeitig fehlt aufgrund des Fachkräftemangels in der Pflege und der Unterstützung von Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderung professionelle Entlastung. Wir wollen sichergestellt wissen, dass auch in familiären Belastungs- und Notsituationen eine umfassend abgeklärte selbst bestimmte Entscheidung für oder gegen einen assistierten Suizid getroffen werden kann und mögliche Alternativen wie z.B. die Palliativversorgung bekannt und zugänglich sind. Vor dem Hintergrund, dass beide Gesetzesentwürfe keine erforderliche Mehrheit erreicht haben, bleibt der Handlungsbedarf bestehen. Wir als grüne Bundestagsfraktion und fraktionsübergreifend als Parlamentarier müssen hier eine einvernehmliche Lösung erarbeiten.
Mit freundlichen Grüßen
Maria Klein-Schmeink