Frage an Maria Klein-Schmeink von Georg S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Klein-Schmeink,
als vom Bürger gewähltes Mitglied des Bundestages(MdB) vertreten Sie die Wünsche der Bürger mit Ihrer Stimme im Parlament.
Ihre Vertretung drückt sich - unter anderem - darin aus, dass Sie Entscheidungen für die Bürger treffen und zwar im besten Fall tatsächlich zum Wohl (Wohlergehen) der Bürger z.B. höhere Renten, bessere Versorgung in der Medizin, höherer Mindestlohn, etc, etc, und im schlechtesten Fall nur zum vermeintlichen Wohlergehen oder bewusst zum Nachteil der Bürger, z.B. Rentenkürzungen, Leistungsabbau der gesetzlichen Krankenkassen, Abschaffung Mindestlohn, Steuererhöhungen etc. etc. . Die jeweiligen Gründe für die Entscheidungen sollen hier keine Rolle spielen.
Diese Entscheidungen werden im Rahmen von Gesetzen getroffen, über die im Bundestag jeder Abgeordnete mit Ja oder Nein oder Enthaltung abstimmen kann. Durch die Gesetze wird der Vollzug der darin entahltenen Maßnahmen und Vorgaben möglich und kann von staatlicher Seite auch mit Zwangsmaßnahmen (Exekutive) durchgesetzt werden.
1. Frage:
Sind meine Ausführungen insoweit richtig?
2. Frage:
Legen Sie Ihren Entscheidungen (Abstimmungsverhalten) und legt Ihre Fraktion und legt der Bundestag (Summe aller Abgeordneten) den Entscheidungen (Abstimmungsverhalten) generell wissenschaftliche Studien und Ausarbeitungen, sowie Expertenanhörungen etc. zugrunde, um die Auswirkungen eines Gesetzes/Beschlusses auf die Bürger möglichst umfassend und tatsachenorientiert im Vorhinein beurteilen und bewerten zu können?
3. Frage:
Falls ja, ist dies so vorgeschrieben, oder obliegt es allein dem Abgeordneten, der Fraktion, dem Parlament, Sachverständigen Know How der Entscheidung/dem Abstimmungsverhalten zugrunde zu legen?
4. Frage:
Müssen Sie, Ihre Fraktion, das Parlament die Wünsche von Lobbyisten, insbesondere großen Wirtschaftsunternehmen, bei Ihrer Entscheidung (Abstimmungsverhalten) berücksichtigen?
Sehr geehrter Herr S.,
haben Sie zunächst einmal vielen Dank für Ihre Anfrage. Sie haben Recht, dass der Bundestag als Volksvertretung Gesetze beschließt, die das gesellschaftliche Zusammenleben regeln. Die Legitimation dafür bekommt das Parlament spätestens alle vier Jahre durch Wahlen von den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern selbst.
Allerdings vertreten nicht die einzelnen Abgeordneten die Bürgerinnen und Bürger, sondern immer nur das Parlament als Ganzes. Keiner meiner Kollegen und keine meiner Kolleginnen würde wohl für sich beanspruchen, die Wünsche der gesamten Bevölkerung zu kennen und die Wahrheit gepachtet zu haben. Das Fundament der Demokratie beruht auf der Verhandlung von Interessen, also der Debatte von unterschiedlichen Standpunkten miteinander, sodass das Endprodukt immer der Kompromiss unterschiedlicher Positionen ist. Ob man dieses Endprodukt persönlich positiv oder negativ bewertet, bleibt natürlich jedem und jeder selbst überlassen.
Um möglichst viele Standpunkte berücksichtigen zu können, beziehen wir in unserer Positionsfindung selbstverständlich auch die Einschätzung von Betroffenen und Expertinnen und Experten ein. Im Bundestag findet zu jedem Gesetzentwurf eine Anhörung statt, bei der Vertreterinnen und Vertreter aus der Wissenschaft und betroffenen Verbänden und Vereinen eingeladen werden, um ihre Sicht auf den jeweiligen Gesetzentwurf zu vertreten. Die Anhörungen sind immer öffentlich und werden vom Parlamentsfernsehen übertragen. Vergangene Anhörungen kann man sich auf der Website des Bundestags ansehen. In der Beratung eines Gesetzesvorschlags sind diese Anhörungen zentraler Bestandteil, die diskutierten Standpunkte prägen die parlamentarische Debatte maßgeblich. Darüber hinaus gibt es in Ministerien sog. Verbändeanhörungen, die bereits vor der parlamentarischen Beratung im Bundestag durchgeführt werden. Vorgeschrieben sind bspw. die Anhörungen im Rahmen der parlamentarischen Befassung von Gesetzen – ohne sie kann kein Gesetz den Bundestag verlassen und somit auch nicht in Kraft treten.
Wie die einzelnen Fraktionen und Abgeordneten ihren Entscheidungsprozess gestalten, bleibt ihnen selbst überlassen. Der Arbeitsalltag im Parlament setzt jedoch ein so großes Fachwissen voraus, dass wohl alle Abgeordneten auf den Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern und Expertinnen und Experten angewiesen sind und diesen auch aktiv suchen, um die Ansicht von Betroffenen in unsere Arbeit einbeziehen zu können.
Als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen veranstalten wir dafür regelmäßig Fachgespräche mit Expertinnen und Experten zu bestimmten Themen. Zusätzlich habe ich jede Woche zahlreiche Gespräche in kleinerem Rahmen mit Bürgerinnen und Bürgern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und weiteren Expertinnen und Experten, in denen ich über verschiedene Aspekte der Politik spreche und die Auswirkung von Gesetzen mit Betroffenen diskutiere.
Der Bundestag beschäftigt außerdem mit dem Wissenschaftlichen Dienst direkt im Haus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die wir Abgeordnete um Gutachten zu allen Themen unserer Arbeit beauftragen zu können. Nicht zuletzt sind auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Abgeordnetenbüros und Fraktionen dafür zuständig, Zahlen, Daten und Fakten zu recherchieren.
Insofern kann Ihre zweite Frage deutlich bejaht werden, dass Abgeordnete ihre Entscheidungen nicht leichtfertig treffen und die Perspektive von Wissenschaft und Betroffenen eine große Rolle spielt. Beim Abstimmungsverhalten im Parlament sind alle Abgeordneten außerdem zu jeder Zeit nur ihrem Gewissen unterworfen – das sichert uns das Grundgesetz (Art. 38) zu. Wir können also zu jeder Zeit völlig frei entscheiden, wie wir abstimmen und sind nicht dazu verpflichtet, einzelne Partikularinteressen zu berücksichtigen.
Mit freundlichen Grüßen
Maria Klein-Schmeink