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Margrit Spielmann
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Frage von Marc P. •

Frage an Margrit Spielmann von Marc P. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Spielmann,

die SPD verfolgt meines Wissens in der Gesundheitspolitik das Modell der Bürgerversicherung. Es wird immer wieder erwähnt, dass dadurch viel mehr Beiträge an die Kassen fließen würden, weil mehr Menschen (auch Selbständige, Beamte etc.) auch in diese Bürgerversicherung einzahlen müssten. Aber was sind die finanziellen Vorteile der Bürgerversicherung? Denn es ändert sich ja defakto nichts in der Finanzierbarkeit. Auf der einen Seite versprechen Sie mehr Einnahmen durch eine vergrößerte Anzahl Versicherter. Aber auch Beamte und Selbständige werden krank und gehen zum Arzt oder brauchen Medikament bzw. werden operiert und müssen zur Reha, d.h. sie versichern mehr Leute und haben dadurch mehr Ausgaben. Bitte beziehen Sie dazu Stellung.

Gibt es Berechnungen, denen man entnehmen kann mit welchen Zusatzeinnahmen zurechnen sind und auch mit welchen zusätzlichen Ausgaben die Kassen belastet werden?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Pritzkow,

für die Menschen in Deutschland ist die Gesundheitsversorgung ein wichtiges Gut. Zwei Drittel der Deutschen wollen den Ausbau der solidarischen Krankenversicherung zur Bürgerversicherung. Denn Krankheit ist ein Risiko, das niemand alleine schultern kann. Der medizinische Fortschritt und der veränderte Altersaufbau der Gesellschaft erfordern nicht weniger, sondern mehr Solidarität. Wir wollen ein gerechtes und solidarisches Gesundheitswesen, das allen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu hochwertigen medizinischen Leistungen garantiert. Deshalb wollen wir die Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung weiterentwickeln.

Warum wir eine Bürgerversicherung brauchen, ist die merkwürdige und überkommene Struktur des deutschen Gesundheitswesens selbst. Die Trennung in gesetzlich und privat Versicherte ist eine internationale Besonderheit, die in zweifacher Hinsicht falsch ist. Erstens beteiligen sich sogenannte „gute Risiken“, also junge gutverdienende Menschen mit geringem Krankheitsrisiko nicht an der solidarischen Finanzierung. Zweitens ist das System wettbewerbsfeindlich. Denn ein Wechsel zwischen privaten Krankenversicherern ist wenig attraktiv, da angesparte Rückstellungen für eine Ermäßigung der Beiträge im Alter für die Versicherten verloren gehen. 70% der Bevölkerung in Deutschland können zwischen den Systemen aufgrund von formalen Hemmnissen überhaupt nicht wechseln. Die parallele Existenz zweier vollständig unterschiedlich finanzierten Vollversicherungssysteme, zwischen denen nur bestimmte, insbesondere gutverdienenden Personengruppen auswählen können, ist nicht zukunftsfähig. Wenn private und gesetzliche Kassen im Rahmen der Bürgerversicherung allen offen stehen bedeutet dies mehr Wettbewerb und mehr Effizienz im System.

Die Bürgerversicherung wird unser Gesundheitssystem solidarischer, gerechter und auch volkswirtschaftlich vernünftiger machen. Das ist der große Vorteil. Denn,

* jeder muss versichert sein. Auch Gutverdienende, Beamte, Selbstständige und Politiker.
* jede Kasse muss jeden versichern. Auch kranke und behinderte Menschen können wählen. Es bleibt beim heutigen gesetzlichen Leistungskatalog.
* die Beiträge zur Bürgerversicherung richten sich wie bisher nach dem Einkommen. Zukünftig werden auch Kapitalerträge zur Finanzierung herangezogen. Durchschnittsersparnisse werden aber durch Freibeträge geschont. Mieten und Pachten bleiben beitragsfrei.
* die beitragsfreie Familienversicherung bleibt erhalten.
* von der Bürgerversicherung werden kleine und mittlere Einkommen unmittelbar profitieren.
* durch die Bürgerversicherung können die Beiträge für die große Mehrheit der Versicherten sinken. Das entlastet die Versicherten und die Kassen werden also nicht mit zusätzlichen Ausgaben belastet.

In der Bürgerversicherung wird das Prinzip der Umlagefinanzierung weiterentwickelt. Für den Einbezug der Kapitaleinkommen zur Finanzierung der solidarischen Krankenversicherung unterbreitet die Projektgruppe zwei Umsetzungsvorschläge.

*Das Grundmodell ist das 2-Säulen-Modell:*

* Dieses erreicht deutliche Entlastungen für den Arbeitsmarkt. Durch die Einbeziehung anderer Einkommensarten und die Ausweitung auf alle Personen können wir die Lohnnebenkosten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer deutlich senken.
* Wir bleiben bei der Beitragsbemessungsgrenze.
* Die Erwerbseinkommen aus Lohn, Gehalt, selbständiger Tätigkeit, Renten und der Arbeitslosenversicherung werden wie bisher bis zur Beitragsbemessungsgrenze zu Beiträgen herangezogen. Dies ist die erste Säule der Beiträge.

*Variante 1: Das 2-Säulen-Beitragsverfahren*

* Einkommensabhängige Beiträge aus Erwerbseinkommen werden durch eine 2. Beitragssäule ergänzt, die sich auf Kapitaleinkommen bezieht. Damit wird die Belastung nach Leistungsfähigkeit erreicht.
* In der zweiten Säule werden Kapitaleinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze herangezogen. Für diese zweite Säule gilt der steuerrechtliche Sparerfreibetrag (derzeit 1.340 €/Jahr). Bei der Beitragserhebung wird auf die Daten der Finanzämter zurückgegriffen.

*Variante 2: Das Kapital-Steuer-Modell*

* Einkommensabhängige Beiträge werden durch eine Abgeltungssteuer ergänzt, die sich nach den Kapitaleinkommen (also Zinsen, Dividenden etc.) richtet. Eine vernünftige Mischung aus Beiträgen und pauschalen Steuern gewährleistet Stabilität und Demographiefestigkeit.
* Der Einbezug von Kapitaleinkommen zur solidarischen
Krankenversicherung, wird als Teil einer Abgeltungssteuer in Höhe von etwa 7% erhoben, der zweckgebunden in die Finanzierung der Bürgerversicherung fließt.
* Ein aus Steuern auf Kapitaleinkünfte finanzierter Zuschuss an die Krankenversicherung wird sofort von allen, auch den privat Versicherten, erhoben. Im Rahmen einer Abgeltungssteuer entfällt eine Beitragsbemessungsgrenze für Einkünfte aus Kapitalvermögen. Der Solidarbeitrag für alle Kapitaleinkommen wirkt sich sofort beitragsmindernd aus.
* Solange es nicht zur Einführung einer Abgeltungssteuer kommt, kann der Zuschuss an die Krankenversicherung auch im Rahmen der Kapitalertrags- und Zinsabschlagsteuer erbracht werden.

*Finanzieller Vorteil: Senkung der Beitragssätze*

Die Einbeziehung aller Personengruppen und von Kapitaleinkünften in die Bürgerversicherung bewirkt eine deutliche Senkung der Beitragssätze in der Krankenversicherung um etwa 1,5 bis 1,8 Beitragssatzpunkte. Das bedeutet, dass mit der Bürgerversicherung die Beiträge im Durchschnitt bei 12,3% bzw. 12,6% liegen werden. Die Absenkung der Beitragssätze entlastet Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Lohnnebenkosten werden gesenkt - und zwar unmittelbar. Auch in Zukunft wird es Schwankungen der Beiträge geben, abhängig von medizinischem Fortschritt, der demographischen und der konjunkturellen Entwicklung sowie der Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Aber die Bürgerversicherung sorgt dafür, dass das Ausgangsniveau niedriger ist und die Beiträge längerfristig stabil bleiben.

*Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt*

Die Arbeitskosten werden mit der Bürgerversicherung nachhaltig gesenkt, von 14,1% auf 12,6% (beim Kapitalsteuer-Modell) bzw. 12,3% (beim Zwei-Säulen-Beitragsverfahren). Außerdem bleibt es bei den Arbeitseinkommen im Grundsatz bei der paritätischen Finanzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Unternehmen haben auch weiterhin ein Interesse an Strukturreformen – bei der Kopfpauschale ist dies anders.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Margrit Spielmann