Frage an Margrit Spielmann von Detlef K. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Spielmann.
Im Jahr 2006 wurde durch den Bundestag das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbes im Gesundheitswesen verabschiedet. Nunmehr haben mehr als 50% aller gesetzlichen Krankenkassen ihre Hilfsmittelversorgung über eine Ausschreibung nach VOL vergeben. Die Ergebnisse sind fraglich, da die Versorgungsqualität stark gesunken ist. Dies jedoch könnte sich vielleicht noch mit einer Überversorgung aus der Vergangenheit entschuldigen lassen.
Wie sehen Sie die Entwicklung in dieser Richtung ?
Welche Maßnahmen präferiren Sie im Bezug auf die Überversorgung und somit erfolgten Rezeptbetrügerreien ?
Wie stehen Sie zur Änderung des Paragrafen 127 Abs. 2 im Bezug auf die EU-Rechtskonformität ?
Detlef Klaus
Sehr geehrter Herr Klaus,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 15. Mai 2009. Lassen sie mich zuerst etwas zur Ausgangslage sagen.
Im Gefolge des GKV-WSG wurde die kassenrechtliche Zulassung aufgehoben und die Versorgungsberechtigung der Leistungserbringer zwingend an den Abschluss von Verträgen nach § 127 Absatz 1 bis 3 SGB V geknüpft. Gemäß der Gesetzessystematik waren die Versorgungsverträge vorrangig im Wege der öffentlichen Ausschreibung unter Anwendung des einschlägigen Vergaberechts zu schließen. Ob eine Ausschreibung überhaupt geboten war, wurde an eine Zweckmäßigkeitsprüfung geknüpft. Eine Ausschreibung ist nach dem aktuellen Gesetzeswortlaut i. d. R. unzweckmäßig, wenn die Versorgung mit einem hohen Dienstleistungsanteil verknüpft ist oder es sich um individuell anzufertigende Hilfsmittel handelt.
Da das nationale Recht vom europäischen überlagert wird, ist bei Aufträgen ab Erreichen des europarechtlichen Schwellenwertes von derzeit 206.000 Euro insofern vor allem bedeutsam, ob die Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber im Sinne von § 98 Absatz 2 GWB zu qualifizieren sind. Diese Frage ist Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens des Oberlandesgerichts Düsseldorf an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Vgl. Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 2007 – VII-Verg50/06, VergabeR 2007, S. 622). Die Krankenkassen hatten ungeachtet der Art der Vertragsanbahnung vor Vertragsabschluss zu überprüfen, ob die Leistungserbringer die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen (Eignungsprüfung). Eine Ausnahmeregelung galt für Leistungserbringer, die am 31. März 2007 über eine Zulassung verfügten. Sie waren gemäß § 126 Absatz 2 SGB V für einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2008 grundsätzlich weiterhin versorgungsberechtigt. Am 1. Januar 2009 ist in wesentlichen Teilen das GKV-OrgWG3 in Kraft getreten, das für den Hilfsmittelbereich weitere Änderungen mit sich bringt.
Durch das GKV-WSG ist die Hilfsmittelversorgung stärker wettbewerblich ausgerichtet worden. Im Interesse einer effizienteren und qualitativ hochwertigen Hilfsmittelversorgung hatte der Gesetzgeber den Krankenkassen aufgegeben, im Hilfsmittelbereich verstärkt das Instrument der Ausschreibungen anzuwenden, um hierdurch noch vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen. Ausschreibungen sollen allerdings nur dann durchgeführt werden, wenn sie auch zweckmäßig sind. Nach intensiven Gesprächen mit Patientenvertretern, Leistungserbringern und Krankenkassen zu aktuellen Problemen im Versorgungsgeschehen wurde deutlich, dass einige Klarstellungen und Veränderungen im Hilfmittelbereich notwendig waren, die mit dem GKV-OrgWG eingeführt wurden. Im Folgenden möchte ich diese kurz skizzieren.
1. Umwandlung de Ausschreibungsgebotes in eine Kann-Vorschrift
Das Ausschreibungsgebot wird in eine "Kann-Vorschrift" umgewandelt, damit die Krankenkassen sich nicht zum vorrangigen Abschluss von exklusiven Versorgungsverträgen im Wege der Ausschreibung verpflichtet sehen, wenn sie eine wirtschaftliche Versorgung auch auf andere Weise sicherstellen können.
2. Präqualifizierungsverfahren
Für Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich soll ein Präqualifizierungsverfahren eingeführt werden. Damit wird überflüssiger bürokratischer Aufwand bei den Krankenkassen und Leistungserbringern vermieden, der ansonsten durch die Prüfung der Eignung bei jedem einzelnen Vertragsabschluss entsteht. Die nähere Ausgestaltung des Verfahrens regeln der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer im Vereinbarungswege gemeinsam.
3. Beitrittsrecht zu existierenden Verträgen
Leistungserbringern wird außerdem ein Beitrittsrecht zu den auf dem Verhandlungswege abgeschlossenen Verträgen eingeräumt. Die sichert einen diskriminierungsfreien Zugang zu Verträgen mit den Krankenkassen, die seit dem 1. Jan. 2009 Voraussetzung für eine Teilnahme an der Versorgung sind. Das Beitrittsrecht gilt nicht im Falle von Ausschreibungen.
4. Neue Übergangsregelung und Verlängerung der bestehenden Übergangsfrist
Weil das Präqualifizierungsverfahren erst neu geschaffen werden muss, ist hierfür eine Übergangsregelung in Form einer Übergangsfrist erforderlich. Danach gelten bis zum 30. Juni 2010 für Leistungserbringer, die am 31. März 2007 über eine Zulassung verfügten, die gesetzlichen Eignungsanforderungen an Vertragspartner grundsätzlich als erfüllt. Die Übergangsfrist ist so bemessen, dass in der Zwischenzeit ein Präqualifizierungsverfahren etabliert werden kann.
Darüber hinaus ist eine Verlängerung der bestehenden Übergangsregelung um ein Jahr im Gesetz verankert, nach der die betreffenden Leistungserbringer zunächst bis zum 31.Dezember 2008 versorgungsberechtigt waren.Mit der Verlängerung der Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2009 wird eine reibungslose Umstellung durch die Vertragspartner ermöglicht. Mit der Verlängerung der Übergangsregelung wird die Kontinuität der Versorgung im Interesse der Versicherten gesichert.
5. Erarbeitung eines Zweckmäßigkeitsbegriffes unter Beteiligung der Patientenvertreter Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer sollen gemeinsam Empfehlungen zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen herausgeben, um bestehende Unklarheiten auszuräumen. Mit der Regelung soll der Durchführung unzweckmäßiger Ausschreibungen durch gemeinsame Empfehlungen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen und der Spitzenorganisationen der Leistungserbringer entgegengewirkt werden. Da durch die Empfehlungen zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich auch die Belange der Patientinnen und Patienten betroffen sind, ist eine beratende Mitwirkung der maßgeblichen Patienten und Selbsthilfeorganisationen vorgesehen.
Mit den vorliegenden Regelungen wurden in der Vergangenheit beobachtete Fehlentwicklungen und geäußerten Sorgen begegnet. Die im GKV-OrgWG vorgestellten Änderungen werden auch weiterhin das Ziel verfolgen, Wirtschaflichkeitsreserven zu heben und gleichzeitig eine qualitativ hochwertige sowie praktikable Versorgung der Versicherten sicherzustellen.
Um eine einheitliche Rechtsanwendung zu ermöglichen und die Krankenkassen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zu unterstützen, gibt der GKV-Spitzenverband Hinweise zur Umsetzung des GKV-OrgWG im Hilfsmittelbereich, die mit Vertretern der Bundesverbände der Krankenkassen beraten wurden. Für den §127 Abs.2 ist dabei folgendes zu beachten.
1. Möglichkeiten der Vertragsanbahnung
Mit Ausnahme von Versorgungen aufgrund der Übergangsregelungen gilt das Vertragsprinzip. Zum Abschluss von Verträgen stehen unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Verträge nach § 127 Absatz 1 SGB V kommen durch Ausschreibung zustande, Verträge nach § 127 Absatz 2 SGB V i. d. R. auf dem Verhandlungswege. Die bisher vorgeschriebene vorrangige Ausschreibungsverpflichtung wurde in eine Option umgewandelt. Dadurch entsteht eine Gleichrangigkeit zwischen den Verträgen nach § 127 Absatz 1 und Absatz 2 SGB V. Bestehen keine Verträge nach § 127 Absatz 1 oder 2 SGB V, erfolgt die Versorgung auf Basis einer Vereinbarung im Einzelfall gemäß § 127 Absatz 3 SGB V. Angesichts der Gesetzessystematik stellt die Versorgungsgrundlage i. S. d. § 127 Absatz 3 SGB V in jedem Fall die Ausnahme dar.
2. Anwendung des Vergaberechts
Sofern sich die Krankenkasse entschließt, eine Ausschreibung durchzuführen, ist das jeweilige Vergaberecht zu beachten. Im nationalen Bereich gibt die Verordnung über das Haushaltswesen in der Sozialversicherung (SVHV) hierüber Aufschluss, in der in § 22 Absatz 2 ein einheitliches Vorgehen beim Abschluss von Verträgen gefordert und auf die konkreten Ausführungsbestimmungen der Verdingungsordnungen (hier: VOL/A) verwiesen wird. Bzgl. europaweiter Auftragsvergaben ordnet § 69 Absatz 2 n. F. an, dass die §§ 97 bis 115 und 128 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) anzuwenden sind, allerdings mit der Maßgabe, dass der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen besonders zu berücksichtigen ist. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass beim Abschluss von Einzelverträgen in der GKV in jedem Einzelfall zu prüfen sei, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 97 ff. GWB vorliegen, insbesondere ob es sich bei den jeweiligen Vergaben um öffentliche Aufträge i. S. d. § 99 GWB handele. Ausschreibungsverträge im Hilfsmittelbereich nach § 127 Abs. 1 SGB V wären als öffentliche Aufträge zu qualifizieren, da hier die Versorgung grundsätzlich durch den jeweiligen Ausschreibungsgewinner erfolgen müsse und der Versicherte somit kein Wahlrecht habe. Würden dem gegenüber Verhandlungsverträge nach § 127 Abs. 2 SGBV geschlossen, zu denen es ein Beitrittsrecht gäbe, sei für ein Vergabeverfahren kein Raum mehr, da unter mehreren Leistungsanbietern eine Auswahlentscheidung vom Versicherten getroffen werden könne.
3. Beitritt zu Verträgen nach § 127 Abs. 2 SGBV
Vertragsungebundenen Leistungserbringern steht grundsätzlich ein Beitrittsrecht nur zu bestehenden Verträgen nach § 127 Absatz 2 SGB V zu. Voraussetzung für einen Vertragsbeitritt ist u. a., dass der Leistungserbringer die gesetzlichen Anforderungen an die Leistungserbringung nach § 126 Absatz 1 Satz 2 SGB V erfüllt (Eignungskriterien). Dies ist vor dem Vertragsbeitritt von dem Leistungserbringer nachzuweisen und durch die Krankenkasse zu prüfen. Erfüllt ein Leistungserbringer die Anforderungen nicht, ist ein Vertragsbeitritt abzulehnen. Wie schon erwähnt, gelten bis zum 30. Juni 2010 grundsätzlich alle Leistungserbringer, die am 31. März 2007 zur Versorgung zugelassen waren, als geeignet, einem Vertrag beitreten zu können. Das Beitrittsrecht ist nicht auf bestimmte Verträge beschränkt und bezieht sich auch auf Verträge, die vor dem 1. April 2007 geschlossen worden sind. Dies gilt auch, wenn mit mehreren Leistungserbringern parallel über eine vergleichbare Leistung Verträge bestehen. Der beitretende Leistungserbringer muss allerdings die Konditionen des Vertrags anerkennen und die Anforderungen des Vertrags erfüllen, dem er beitreten will. Verbänden und sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer wird durch das neue Gesetz ebenfalls ein Beitrittsrecht eingeräumt, jedoch nur zu Verträgen mit Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer. In diesem Fall müssen die Eignungskriterien für jedes Mitglied des Leistungserbringerkollektivs erfüllt und nachgewiesen sein. Die Übergangsregelung nach § 126 Abs. 2 SGB V ist auch hier zu beachten.
4. Inhalt der Verträge
Nach bisheriger Rechtslage sind in den Ausschreibungsverträgen nach § 127 Absatz 1 SGB V die Qualität der Hilfsmittel sowie die notwendige Beratung der Versicherten und sonstige erforderliche Dienstleistungen zu regeln. Um eine gleichmäßige Versorgung der Versicherten zu erreichen, sind ferner mindestens die Qualitätsanforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses in den Verträgen zu beachten. Darüber hinaus ist auf eine wohnortnahe Versorgungsmöglichkeit der Versicherten zu achten. Aufgrund der Gesetzesänderungen ist dies künftig auch in Verträgen bzw. Vereinbarungen nach § 127 Absatz 2 und 3 SGB V sicherzustellen.
Ich hoffe, dass ich hiermit Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten konnte.
Herzliche Grüße
Dr. Margrit Spielmann