Frage an Margit Stumpp von Jochen H. bezüglich Petitionen
Sehr geehrte Frau Stumpp,
In BW wurde aus Gründen der Koalitionsräson der von der FDP eingebrachte Gesetzesentwurf von Bürgerbegehren zu Landkreis-Themen seitens der Grünen abgeschmettert, obwohl eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten dafür ist. Dieses Recht für die Bürgerinnen und Bürger aus diesen Gründen vorzuenthalten, ist ein Skandal. Nur in BW und Hessen gibt es diese Möglichkeit nicht, die Zeit dafür wäre reif gewesen.
Wohl aus gleichen Gründen wollen sich die Grünen im Bund von der direkten Demokratie abwenden. Was wird aus dem Volksentscheid, warum soll diese Bürgerbeteiligung auf der Strecke bleiben?
Als Mitglied im Landesvorstand von Mehr Demokratie Baden-Württemberg wären die Grünen deshalb für mich und viele weitere zukünftig nicht wählbar!
Mit freundlichen Grüßen
J. H.
Sehr geehrter Herr Heger,
persönlich bedauere ich es sehr, dass der Volksentscheid nicht mehr im Grundsatzprogramm steht. Die Abstimmung war kritisch und der Abstand nicht besonders groß.
Ich vertrete die Meinung, dass vor einen Volksentscheid immer einen Bürger*innenrat zum betreffenden Thema organisiert werden sollte, damit das Thema auch Reichweite in die Bevölkerung bekommt und informierte Menschen abstimmen.
Wir GRÜNE fordern seit vielen Jahren Instrumente der direkteren Beteiligung und Mitbestimmung der Bürger*innen. Denn die Essenz unserer Demokratie ist, dass Perspektiven aktiv eingebracht werden können. Eine vielfältige Demokratie braucht Einmischung, Repräsentanz, Lust zur Auseinandersetzung und Kompromissfähigkeit. Wir wollen, dass unsere Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, die politische Agenda stärker selbst zu gestalten. Dieses Grundprinzip grüner Politik spiegelt sich auch in unserem neuen Grundsatzprogramm wieder.
Direkte Beteiligungsmöglichkeiten bereichern die repräsentative Demokratie. Mit Bürger*innen-Räten soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von Bürger*innen noch direkter in die Gesetzgebung einfließen zu lassen.
Zufällig ausgewählte Bürger*innen beraten in einem festgelegten Zeitraum über eine konkrete Fragestellung und erarbeiten Handlungsempfehlungen und Impulse für die öffentliche Auseinandersetzung und die parlamentarische Entscheidung. Es gilt sicherzustellen, dass die Teilnehmenden sich frei, gleich und fair eine Meinung bilden können und dass ihnen ausreichend Raum für eine intensive Auseinandersetzung mit der Fragestellung gegeben wird.
Es ist mir persönlich sehr wichtig, dass auch Kinder und Jugendliche miteinbezogen werden. Deshalb fordere ich einen Aktionsplan für Beteiligung:
Es hängt oft vom Wohlwollen einzelner Akteure ab, ob junge Menschen bei Entscheidungen mitreden dürfen. Wir wollen klare Regeln, dass Kinder und Jugendliche altersgerecht mitentscheiden können. Dies muss dann auch nachvollziehbare Konsequenzen haben. Beteiligungsangebote sollen niemanden ausschließen, sondern allen jungen Menschen Teilhabe ermöglichen – unabhängig von Bildungsgrad oder sozialer Herkunft. Darum fordern wir die Bundesregierung auf, einen Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung aufzulegen. Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen müssen umgesetzt und bekannt gemacht werden. Mit einer Informationskampagne sollen Kinder und Jugendliche sowie Eltern und Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Schulen über die Rechte und Partizipationsmöglichkeiten, sowie über Beschwerdemöglichkeiten informiert werden.
Nur wer früh ernst genommen wird und spürt, dass man Dinge selbst verändern kann, lernt Demokratie und geht als Erwachsener sicherer durchs Leben. Es ist an der Zeit, junge Menschen mehr zu beteiligen!
Und auch auf Landesebene haben Bündnis 90 / Die Grünen viel erreicht:
Kein anderes Bundesland hat in den letzten Jahren eine so rasante Entwicklung durchgemacht wie Baden-Württemberg. Das betrifft nicht nur direktdemokratische Instrumente, die wir eingeführt bzw. erleichtert haben. Das betrifft viele Formen der Bürgerbeteiligung.
Bereits 2015 konnten die Landesgrünen mehrere Reformen im Bereich der direkten Demokratie umsetzen:
• Die Hürden für Volksbegehren wurden durch niedrigere Quoren, freie Unterschriftensammlung und längere Fristen gesenkt.
• Die Hürden für Volksabstimmungen haben wir durch ein geringeres Zustimmungsquorum gesenkt.
• Als neues direktdemokratisches Instrument haben wir den Volksantrag eingeführt. Wenn ein Volksantrag von 0,5 Prozent der Bürger*innen (ca. 39.000 Unterschriften) unterstützt wird, muss sich der Landtag mit ihm befassen.
• Auch auf kommunaler Ebene haben wir die Mitbestimmung erleichtert: In der Gemeindeordnung wurden Quoren abgesenkt, die Fristen verlängert und der Themenkatalog erweitert.
Diese Maßnahmen wirken insbesondere auf kommunaler Ebene: Die Zahl der zulässigen Bürgerbegehren ist deutlich angestiegen. Im Jahr 2020 hat sich der Landtag auch erstmals mit einem erfolgreichen Volksantrag beschäftigt. Trotz dieser Erfolge sind wir noch nicht am Ziel: Das Volksabstimmungsgesetz wollen wir weiterentwickeln, um weiter Hürden abzubauen. Daneben wollen wir unbedingt auch auf Landkreisebene Bürgerbegehren ermöglichen. Dies hat die CDU bisher blockiert. Es ist kein Grund ersichtlich, warum Landkreise hier ausgenommen werden sollten.
Mit freundlichen Grüßen
Margit Stumpp