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Marco Buschmann
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Frage von Jörn H. •

Frage an Marco Buschmann von Jörn H. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Buschmann,

in Ihrer Rede vom 7.6.2013 weisen Sie zurecht darauf hin, dass Mädchen als Opfer von Genitalverstümmelungen (FGM) bereits heute vom Strafrecht nicht schutzlos gestellt werden. Dies galt bis letztes Jahr auch für Jungen. Während Sie nun für Mädchen einen gesonderten Straftatbestand schaffen wollen, der jegliche Körpermodifikationen an den Genitalien von Mädchen ächtet, haben Sie im Dezember einem Gesetz zugestimmt, welcher, allerdings in Bezug auf Jungen, das genaue Gegenteil besagt, nämlich dass es explizites elterliches Recht sei, an den Genitalien von Jungen eine Körperverletzung zu begehen, aus beliebigen Gründen und in jeglicher Form (auch bei der Jungenbeschneidung existieren unterschiedliche Schweregrade, je nach Menge der entfernten Haut, mit oder ohne Abschneiden des Vorhautbändchens etc.).

Gerne hätte ich von Ihnen erfahren, wie Sie diese geschlechtsspezifische Diskrepanz erklären und rechtfertigen. Halten Sie alle Formen der FGM in ihren Auswirkungen für gravierender als die der männlichen Beschneidung, also beispielsweise auch die oft praktizierte Form des bloßen Anritzens der Klitorisvorhaut? Oder muss ich Ihre Zustimmung zu §1631d BGB dahingehend verstehen, dass Sie mit denjenigen Formen der FGM einverstanden sind, die weniger gravierend sind? Mit welcher Begründung wollen Sie Eltern von Mädchen derartige Praktiken verbieten? Ein Hinweis auf die schweren Formen der FGM bietet dafür keine Rechtfertigung.

Aktivisten, die seit Jahren gegen die weibliche Beschneidung kämpfen, unter anderem Terre des Femmes, weisen zurecht darauf hin, dass sie schwer gegen FGM argumentieren können, wenn man im Gegenzug die männliche Beschneidung nicht nur zulässt, sondern vielmehr als elterliches Recht definiert. Warum teilen Sie diese Meinung offenbar nicht? Sie weisen in Ihrer Rede auf die Apellwirkung eines solchen Straftatbestands hin. Welche Apellwirkung geht Ihres Erachtens von §1631d BGB aus?

Mit freundlichen Grüßen
J. Hoos

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Hoos,

vielen Dank für Ihre Frage vom 15. Juni 2013.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 7. Mai 2012 hat die Berufskammer des Landgerichts Köln die Auffassung vertreten, bei der religiös begründeten, aber nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern durchgeführten Beschneidung eines minderjährigen (vierjährigen) Jungen handele es sich um eine rechtswidrige Körperverletzung im Sinne von § 223 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB).

Der Deutsche Bundestag hat daraufhin mit Beschluss vom 19. Juli 2012 betont, dass jüdisches und muslimisches religiöses Leben in Deutschland weiterhin möglich sein müsse. Auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP hat das Parlament mit breiter Mehrheit die Bundesregierung aufgefordert, „unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist (Bundestagsdrucksache 17/10331).

Das Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes (Bundestagsdrucksache 17/11295) stellt klar, dass und unter welchen Voraussetzungen Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge berechtigt sind, in eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen. Dies bedeutet Rechtssicherheit für alle Betroffenen.

Die Beschneidung von Jungen, insbesondere die religiös motivierte Beschneidung, war in der Vergangenheit in Deutschland stets erlaubt. Sie ist heute – soweit ersichtlich – in allen anderen Ländern der Welt zulässig und auch in Deutschland nach dem geltenden Recht grundsätzlich erlaubt.

Die Verstümmelung weiblicher Genitalien unterscheidet sich grundlegend von der männlichen Beschneidung. Die WHO sieht in der Praxis der Genitalverstümmelung den Ausdruck tief verwurzelter Ungleichheit der Geschlechter und eine extreme Form der Diskriminierung von Frauen. Opfer der Genitalverstümmelung sind vor allem junge Mädchen zwischen dem Säuglingsalter und etwa fünfzehn Jahren, gelegentlich auch erwachsene Frauen. Die Genitalverstümmelung ist mit keinerlei medizinischen Vorteilen verbunden, es besteht aber die Gefahr schwerwiegender Gesundheitsrisiken und weitreichender Folgen. Neben Blutungen, Infektionen und Verletzungen von Blase, Harnröhre oder Vagina während des Eingriffs führt dieser zu chronischen Beschwerden, etwa durch Narbenbildung, im Bereich der Harnwege, bei Menstruation, Schwangerschaft (bis hin zur Unfruchtbarkeit) und Geburt sowie durch Einschränkung oder Verlust der sexuellen Empfindungsfähigkeit. Hinzutreten können schwerwiegende und vielfältige psychische Belastungen.

Der Bundesgerichtshof hat bereits 2004 die Beschneidung eines Mädchens „als eine das Kindeswohl in ganz erheblicher Weise beeinträchtigende Behandlung“ beurteilt und festgestellt, es handele sich „bei der Genitalverstümmelung um einen schweren Eingriff, der bleibende physische und psychische Schäden zur Folge hat. Dies gilt auch dann, wenn der Eingriff nicht – wie zumeist – unter unhaltbaren hygienischen Bedingungen, ohne Betäubung und mit grausamen Hilfsmitteln wie Glasscherben oder Rasierklingen als Schneidewerkzeug durchgeführt wird, sondern selbst wenn er nach allen Regeln ärztlichen Könnens erfolgt. Es bleibt ein radikaler Eingriff in die körperliche Integrität und psychische Befindlichkeit der Frau. Dabei verbietet sich eine Unterscheidung nach der Art der Verstümmelung (Klitorisbeschneidung, Excision oder Infibulation), denn in allen Fällen liegt eine grausame, folgenschwere und durch nichts zu rechtfertigende Misshandlung vor“ (BGH, NJW 2005, 672 <673>).

Das Unrecht, das sich in der Genitalverstümmelung manifestiert, wurde bisher vom Gesetz nicht vollständig erfasst. Die Genitalverstümmelung wurde bisher als Körperverletzung beziehungsweise schwere Körperverletzung geahndet. Der Normbruch führte also allein zu dem Unwerturteil, dass die körperliche Unversehrtheit eines anderen Menschen geschädigt wurde. Die Absicht des Täters aber, nicht nur die körperliche Unversehrtheit, sondern auch die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers unwiderruflich einzuschränken, bildete sich in einem reinen Körperverletzungsdelikt eben nicht ab. Wir haben daher mit § 226 a Strafgesetzbuch einen eigenen Straftatbestand für die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien geschaffen, der eben genau dies berücksichtigt. Der spezielle Tatbestand wie auch die höhere Strafandrohung machen deutlich, dass es sich hier um eine besondere Form des Unrechts handelt, das gleich zwei Rechtsgüter in erheblicher Weise schädigt. Im Übrigen erfasst dieser Tatbestand nicht jegliche Manipulation, sondern die „Verstümmelung“.

Ich hoffe, dass ich zur Klärung möglicher Missverständnisse beitragen konnte.

Mit besten Grüßen

Marco Buschmann MdB

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