Bild von Marcel Emmerich in einem blauen Sakko vor einem grünen Hintergrund.
Marcel Emmerich
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Felix H. •

Im DLF haben Sie erzählt, Sie wollten beim Gesetzesvorhaben des Abgleichs biometrischer Daten aus dem Internet "Handlungsfähigkeit ausstrahlen". Stehen Sie hinter dem überwachungsgesetzlichen Projekt?

Im DLF haben Sie nun, Ihre erzählt, Sie wollten beim Gesetzesvorhaben des Abgleichs biometrischer Daten aus dem Internet, welches Sie im August noch sehr kritisch sahen (https://www.deutschlandfunk.de/gruene-aeussern-erhebliche-bedenken-gegen-geplante-gesichtserkennung-bei-ermittlungen-100.html) nunmehr "Handlungsfähigkeit ausstrahlen": https://www.deutschlandfunkkultur.de/sicherheitspaket-mit-vollgas-in-den-ueberwachungsstaat-dlf-kultur-ce9919cf-100.html

Stehen Sie hinter dem überwachungsstaatsgesetzesrelevanten Projekt oder nicht? Mit welcher Intention haben Sie ein Gesetzesprojekt eingebracht, zu welchem Sie und die FDP v. a. Expert:innen für die Anhörung im Bundestag vorgeschlagen haben, die das Vorhaben sehr kritisch sehen? Strahlen Sie damit Handlungsfähigkeit aus oder haben Sie weniger Bedenken zum Vorhaben denn im August 2024?

Wofür stehen Sie bei dem Vorhaben jenseits der Ausstrahlung von Handlungsfähigkeit?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr H., 

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen für Ihre Anfrage bei Abgeordnetenwatch bedanken. Nach dem schrecklichen, islamistischen Terroranschlag von Solingen hat sich die Bundesregierung auf ein Sicherheitspaket verständigt. Um den Sorgen, die viele Menschen im unserem Land umtreiben, zu begegnen, war es wichtig an dieser Stelle Handlungsfähigkeit zu zeigen. Unter Federführung des Bundesinnenministeriums sind auf dieser Grundlage zwei Gesetzentwürfe erarbeitet worden, die im Bundestag beraten wurden, und aktuell von den Unionsgeführten Bundesländern im Bundesrat blockiert werden. 

Ich sehe es sehr kritisch, wenn Künstliche Intelligenz das Handeln von Menschen über biometrischen Gesichtserkennung überwacht. Hier muss die Eingriffsintensität sehr genau geprüft werden. Wichtige Fragen zum Schutz der individuellen Selbstbestimmung, hohe Fehlerquoten, Diskriminierungspotenziale, Missbrauch durch Kriminelle und ausländische Mächte und anderer Grundrechtseingriffe sind zum jetzigen Zeitpunkt offen und ungeklärt. Deshalb kommen wir als Grüne Bundestagsfraktion zu dem Schluss, dass sowohl die biometrische Gesichtserkennung in Echtzeit als auch nachträglich unverhältnismäßig ist. 

Im Zuge der Verhandlungen im Bundestag konnten wir von Grüner Seite in zentralen Bereichen Stoppschilder und Klarstellungen hinzufügen. Schlimmeres wurde so verhindert und in harten Verhandlungen entscheidende Verbesserungen erreichen. 

Selbstverständlich müssen die Sicherheitsbehörden im digitalen Zeitalter ihren Job machen können. Neue Technologien können einen Mehrwert bieten, ihr Einsatz muss aber zwingend europa- und verfassungskonform ausgestaltet sein. Die neuen Ermächtigungsgrundlagen für BKA, Bundespolizei und Bundesamt für Migration und Flucht wurden diesem Anspruch nicht gerecht, sie waren viel zu weit gefasst, häufig diffus und unkonkret. In der Anhörung im Innenausschuss konnten die Sicherheitsbehörden nicht schlüssig darlegen, wie die neuen Befugnisse konkret umgesetzt werden sollen oder welche Technologien dabei konkret zum Einsatz kommen. Die im Bundestag verabschiedeten Entwürfe sehen nun deutlich schärfere Sicherungsmechanismen und zielgerichtetere Rahmenbedingungen vor. Der Einsatz ist stark begrenzt, fokussierter und wird mit robusten Monitoringmechanismen ausgestattet:

  • So muss die Bundesregierung vor einem Einsatz in einer Rechtsverordnung darlegen, wie der Einsatz europarechts- und verfassungskonform ausgestaltet wird. An dieser Rechtsverordnung ist die Bundesdatenschutzbeauftragte zwingend zu beteiligen.
  • Die neue Befugnis ist auf schwerste Straftaten wie Mord oder der Bildung einer terroristischen Vereinigung begrenzt.
  • Im Gesetz ist eine Evaluation der Befugnisse verankert.
  • Wir konnten zudem erreichen, dass der Bundestag in einem Entschließungsantrag nochmals in sehr deutlichen Worten auf verfassungs- und europarechtlichen Leitplanken (einschließlich des jüngsten BVerfG-Urteils zum BKAG) hinweist, die bei der Umsetzung der neuen Technologien zwingend zu beachten sind. 
  • Durch den Entschließungsantrag wird zudem sichergestellt, dass bei der Umsetzung der Tools nicht mit dem Anbieter Palantir zusammengearbeitet werden darf.

Die Künstliche Intelligenz bietet allerdings auch Chancen für unsere Gesellschaft. Künstliche Intelligenz kann in Kombination mit Videomaterial aus Überwachungskameras einen wichtigen Beitrag für die Innere Sicherheit leisten: Überschwemmungen können vorhergesagt und Waldbrände entdeckt werden, bevor sie sich ausbreiten. Kritisch wird es hingegen, wenn KI das Handeln von Menschen überwacht und wildeste Science-Fiction-Szenarien Realität werden lässt. Das Streben nach absoluter Sicherheit schlägt schnell in Orwellsche Verhältnisse um, wenn im öffentlichen Raum, auf Bahnhöfen, bei Demonstrationen und Volksfesten flächendeckend Systeme im Hintergrund automatisiert unsere ureigenen biometrischen Daten mit allen möglichen Datenbanken abgleichen. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz kann nur dann ein Gewinn für unsere Sicherheit sein, wenn nicht massenhaft personenbezogene Daten gespeichert und Grundrechte ausgehöhlt werden. Es muss Aufgabe eines starken Rechtsstaates sein, für eine faktenorientierte Sicherheitspolitik einzutreten. Das ist auch mein Anspruch und deshalb ist es mir nicht leichtgefallen, diesem Teil des Sicherheitspakets zuzustimmen.

Mit freundlichen Grüßen,

Marcel Emmerich

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