Frage an Manfred Zöllmer von Martin G. bezüglich Finanzen
Hallo Herr Zöllmer,
in Ihrer Antwort an Herrn Hoppe verwenden Sie den Ausdruck "notleidende Banken". Wussten Sie, dass dieser Begriff von einer unabhängigen Jury von Sprachwissenschaftlern zum Unwort des Jahres 2008 gewählt wurde, mit der Begründung, dieser Ausdruck suggeriere, dass die Banken unverschuldet in Not geraten werden? Er stelle das Verhältnis von Ursache und Wirkung auf den Kopf , indem die Verursacher der weltweiten Finanzkrise zu opfern stilisiert werden.
http://www.unwortdesjahres.org/
Das internationale Finanzsystem konnte nur durch das weltweite Eingreifen von Staaten durch massiven Einsatz von Steuergeldern vor dem Kollaps gerettet werden. Kann man damit den Kapitalismus als gescheitert erklären? Welche Wirtschaftsform werden Sie und Ihre Partei jetzt anstreben? Ich fürchte, durch ein Festhalten am derzeitigen System wird sich nichts entscheidendes ändern und die Welt in ca. 50 Jahren wieder am finanziellen Abgrund stehen.
Dass die Menschen aus einer solchen Krise keine Lehre ziehen, zeigt ein Auszug aus einem Gedicht von Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1930, in dem er zwar die Krise von 1929 beschreibt, das allerdings auch haargenau zur heutigen Lage passt
Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.
Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.
Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen - echt famos!:
Soll man das System gefährden?
Da muss eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.
Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und - das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!
Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.
Warum meinen Sie, werden die Menschen ausgerechnet diesmal etwas an diesem System verbessern?
Sehr geehrter Herr Gorges,
vielen Dank für Ihren Beitrag.
Das Gedicht, das Sie zitieren ist mir bekannt. Allerdings stammt es nicht von Kurt Tucholsky, sondern stellt eine der wohl wirksameren Internet-Enten der letzten Zeit dar.
http://diepresse.com/home/wirtschaft/finanzkrise/426781/index.do Ihm fehlt daher die Kraft eines sich bewahrheitenden Orakelspruchs aus einer anderen Epoche. Dennoch kann auch in ihm eine berechtigte Warnung gelesen werden.
Der Begriff „notleidende Banken“ ist eine Art Terminus technicus, wobei mir bewusst ist, dass die Finanzkonzerne nicht unverschuldet in die Krise geschlittert sind. Die Rezession droht nun, viele Arbeitsplätze in Gefahr zu bringen. Wichtig ist es, die Ursachen richtig zu erkennen und zu wissen, auf welche Stärken Deutschland sich verlassen kann. Der Konjunkturabschwung hat sich zu dieser globalen Krise entwickelt, weil die alten Regeln der Finanzmärkte angesichts neuer Risiken nicht ausreichend angepasst wurden. Maß und Mittel im Verhalten von wichtigen Finanzmarktakteuren ging verloren.
Dennoch ist dies keine Krise der ökonomischen, sozialen und finanziellen Grundstrukturen Deutschlands. Unsere Wirtschaft ist stark, ihre Produkte sind weltweit wettbewerbsfähig. In den letzten Jahren sind 1,5 Millionen Arbeitsplätze entstanden und die sozialen Sicherungssysteme sind in den vergangenen Jahren krisenfester gemacht worden. Deutschland hat also heute wesentlich mehr Handlungsspielraum als viele andere Länder und erst recht als im Jahr 1929.
Wir haben alle die Chance, mit kluger Politik die Krise zu meistern und gestärkt in einen neuen Aufschwung zu gehen. Auch mit neuer Weitsicht, welche uns diese Krise lehrt und noch lehren wird.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Zöllmer