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Manfred Zöllmer
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Frage von Anne F. •

Frage an Manfred Zöllmer von Anne F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Zöllmer,

ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr!

Ich habe eine Frage zur näherrückenden Bundestagswahl: Das Bundesverfassungsgesetz hat mit Urteil
BVerfG, 2 BvC 1/07 vom 3.7.2008, Absatz-Nr. (1 - 145), http://www.bverfg.de/entscheidungen/cs20080703_2bvc000107.html festgestellt, dass das aktuelle Bundeswahlgesetz in Teilen gegen den Artikel 38 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz verstößt. Dies betrifft den Umstand des sogenannten negativen Stimmgewichts im Zusammenhang mit den Überhangmandaten und dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl.

Nach der Urteilsverkündung ging ein Raunen durch den Medienwald und seither ist Stille eingekehrt, bzw. haben einige prominente Spitzenpolitiker angekündigt, in dieser Legislatur keine Änderungen am Wahlrecht mehr vorzunehmen.
Aus meiner Sicht ist das ein Skandal! Schließlich liegt zwischen der Urteilsverkündung und dem Wahltermin über ein Jahr, in dem eine solide Änderung hätte erarbeitet werden können. Für mich als Wählerin heißt das ja wohl, dass ich entweder aus Respekt vor der Verfassung an der Wahl nicht teilnehmen werde oder aber gezwungen bin nach einem verfassungswidrigen Wahlrecht meine/n VertreterIn in Berlin zu wählen.

Halten Sie das für korrekt? Wollen Sie - falls Sie erneut antreten und gewählt werden - den Makel des verfassungswidrigen Mandatserhalts in Kauf nehmen? Ich denke, es wäre auch jetzt noch Zeit genug, dem Urteil der Verfassungsrichter folgend eine Verbesserung des Wahlrechts anzugehen, damit alle Abgeordneten der nächsten Legislatur rechtmäßig im Bundestag sitzen. Werden Sie sich dafür einsetzen? Falls Sie keinen akuten Handlungsbedarf sehen, bitte ich um eine Begründung.

In jedem Fall danke ich für Ihre Antwort!

Beste Grüße,

Anne Fischer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Fischer,

vielen Dank für Ihren Beitrag.

Ich stimme Ihnen insoweit zu, dass die von Ihnen angesprochenen verfassungsrechtlichen Mängel des derzeit geltenden Wahlsystems selbstverständlich behoben werden müssen. Die Aussicht, dass in der aktuellen Legislaturperiode nicht mehr mit einer Reform der betroffenen Regelungen zu rechnen ist, stellt m.E. jedoch keinen Skandal dar, sondern ist lediglich der Komplexität der Materie geschuldet und ist angesichts des begrenzten Ausmaßes der Verzerrungen hinnehmbar. Ganz ähnlich wird dies auch vom Bundesverfassungsgericht betrachtet.

Die Ungereimtheiten des aktuell gültigen Verfahrens zur Stimmenverrechnung bei der Bundestagswahl führen zu jenem viel besprochenen Effekt des negativen Stimmgewichts. In Zusammenhang mit der Erzielung von Überhangmandaten kann sich im Einzelfall ein zusätzlicher Gewinn von Wählerstimmen für die entsprechende Partei negativ auswirken. Das ist natürlich mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Wahl, der verlangt, dass jede abgegebene Stimme den gleichen und zwar positiven Effekt haben muss, nicht vereinbar. Eine Änderung ist daher zwangsläufig angezeigt.

Zwar wirkt sich das negative Stimmgewicht in der Tat auf die Mandatsverteilung im Deutschen Bundestag aus (das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die SPD mit ca.19.500 Stimmen weniger in Hamburg ein Mandat mehr im Bundestag erzielt hätte), allerdings betrifft dies nur vereinzelte Mandate. Aus seinem Abwägungsprozess zog das Bundesverfassungsgericht daher im Wesentlichen zwei Schlüsse:

Erstens sind die vorliegenden verfassungsrechtlichen Mängel des Wahlsystems nicht gravierend genug, um die Auflösung des derzeitigen Bundestages zu rechtfertigen. Hierdurch würde sich eine unverhältnismäßig größere Unsicherheit ergeben.

Zweitens haben die Verfassungshüter dem Gesetzgeber aufgegeben, innerhalb einer festen Frist das Wahlgesetz zu reformieren. Die Ungereimtheiten des Wahlsystems können jedoch nicht rechtfertigen, dass in einem überhasteten Gesetzgebungsprozess ein Wahlgesetz verabschiedet wird, dem keine ausreichende Erörterung der unterschiedlichen Möglichkeiten zugrunde liegt. Da es sich bei den Mechanismen der Stimmverteilung um mathematisch sehr komplexe Verfahren handelt, erkannte bereits das Verfassungsgericht im Rahmen seines Urteils, dass eine Beschlussfassung vor der nächsten Bundestagswahl nicht angemessen ist. Dem Gesetzgeber wurde daher eine Frist bis zum 30. Juni 2011 gesetzt, um eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.

Ich habe Verständnis für Ihr Unwohlsein. Doch insgesamt halte ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für sehr vernünftig. Innerhalb der dem Bundestag aufgetragenen Frist wird es möglich sein, ein nachhaltiges Wahlgesetz zu verabschieden, dass allen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird.

Mit freundlichen Grüßen

Manfred Zöllmer