Frage an Manfred Zöllmer von Gert J. bezüglich Jugend
Sehr geehrter Herr Zöllmer,
ich habe letzte Woche im Gesundheitsbericht 2011 der AOK Plus für Sachsen und Thüringen gelesen, dass es für Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen Verordnungen von Ritalin in Höhe von 3,5 Millionen Euro gab, das entspricht einer Menge von 1,1 Tonnen Ritalin!
Das hat mich schon sehr erschreckt. Und das allein in 2 Bundesländern und einer Krankenkasse!
Ich habe immer noch den Eindruck, dass Ritalin oft sehr schnell verabreicht wird, obwohl es auch noch einige andere Methoden gibt, die den Kindern helfen. Vor allem Methoden, die den KIndern in der Schule direkt helfen, wie zum Beispiel ein Konzentrationstraining.
Sehen sie politische Möglichkeiten, diesem scheinbarem Trend der schnellen Medikamentenverordnung entgegenzuwirken oder besteht da kein politisches Interesse?
Vielen Dank für Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen
Gert Jahn
Fachtrainer für soziale Kompetenz
Wuppertal
Sehr geehrter Herr Jahn,
herzlichen Dank für Ihr Schreiben, dass ich hiermit gerne beantworten möchte.
Die von ihnen zitierten Zahlen erscheinen auf den ersten Blick virulent. Jedoch fehlt ein in Relation setzender Vergleich. Zu allererst ist es eine Frage der Diagnose. Sodann folgt die Frage nach der richtigen Indikation - die Suche nach der sachgerechten Behandlung. Dies können psychotherapeutische Maßnahmen sein oder Medikation. Auch eine Balance beider Therapiemethoden kann sinnvoll sein.
Häufig liest man in der Presse von einem stark ansteigendem Gebrauch von Ritalin. Hier sind meist Medikamente mit dem entscheidenden Wirkstoff Methylphenidat gemeint, da Ritalin als Synonym für Medikamente mit diesem Wirkstoff verwendet wird. Die Zahlen dürfen jedoch nicht missinterpretiert werden. Im Jahr 2011 wurden 1,7 Tonnen an Arzneimitteln verkauft, die den Wirkstoff Methylphenidat enthalten. Jedoch in der gesamten Bunderepublik – nicht allein in Thüringen und Sachsen.
Bevor die Kritik folgt, sollte man sich die Diskussion vergegenwärtigen. Die Bundesrepublik liegt im internationalen Vergleich weit zurück in der Diagnose von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS). Der Aufholprozess in Diagnose und Behandlung dieser Krankheit führt jedoch zwangsläufig zu steigenden Zahlen an ADHS-Therapien. Da es sich, um ein Zusammenspiel von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren handelt, können und müssen Therapieansätze sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch gesucht werden. ADHS ist eine chronische Erkrankung. Lange vermutete man, dass vornehmlich Kinder darunter leiden. Dies jedoch nur, weil die Diagnose bei Erwachsenen ausgeblieben ist. Somit blieben Erwachsene ohne eine adäquate Therapie. Die bevölkerungsweite Verbreitung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen von bis zu zehn Prozent ist mittlerweile bekannt und kein Stigmata mehr. Die Akzeptanz, dass auch Erwachsene unter dieser Erkrankung leiden, beginnt allerdings erst.
Vermehrt ist auch das Problem des Missbrauchs der Medikamente die Methylphenidat enthalten, zu beobachten. Die Arzneimittel werden zur Steigerung der mentalen Leistung verwendet. Wo es bei ADHS-Erkrankten zur Beruhigung oder Konzentrationssteigerung führt, kommt es bei nicht Erkrankten zur Stimulans des Gehirns. Die Verabreichung dieses verschreibungspflichtigen Medikaments ohne Notwendigkeit birgt jedoch unerforschte Nebenwirkungen und Gefahren. Im Fall der fehlenden Notwendigkeit ist es schlichtweg Doping für das Gehirn. Zu dem erschlichenen Vorteil durch die Konzentrationsfähigkeit im Alltag oder im Wettbewerb kommen die gesundheitliche Gefahr ebenso wie ethische und moralische Fragen hinzu.
Auch die zuständigen Fachpolitiker im Deutschen Bundestag sind über dieses Thema informiert und sensibilisiert. Deswegen wird sich nach dem Ende der Sommerpause der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages mit dieser Thematik befassen.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Helmut Zöllmer