Frage an Manfred Nink von Thomas C. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Nink,
ich beziehe mich auf Ausschussdrucksache 17(4)636 – Beschäftigtendatenschutzgesetz.
Ist es richtig:
1. Dass mit § 32 Abs. 1 Satz 2 Arbeitgebern das Recht eingeräumt würde, nach laufenden Ermittlungsverfahren zu fragen?
Nach Rechtsprechung ist z. Zt. nur die Frage nach Vorstrafen zulässig.
2. Dass mit § 32 Abs. 6 Satz 2 Arbeitgebern das Recht eingeräumt würde, öffentlich zugängliche Daten über Beschäftigte zu erheben; zugleich die bisher nach § 33 Abs. 1 BDSG für derartige Datenerhebungen bestehende Informationspflicht entfallen soll?
Warum sollen Arbeitnehmer im Verhältnis zu Arbeitgebern damit schlechter gestellt werden als andere Betroffene?
3. Dass durch § 32 Abs. 2 Satz 1 ausdrücklich die Frage nach einer Behinderung zulässig sein und nur die Frage nach einer Schwerbehinderung durch § 32 Abs. 3 ausgeschlossen sein soll?
Im Ergebnis würde eine Diskriminierung behinderter Menschen möglich werden; zudem fehlt es beim Begriff „Behinderung“ im Unterschied zu der nach SGB IX festgestellten „Schwerbehinderung“ an präzisen Maßstäben.
4. Dass durch § 32c Abs. 2 Arbeitgebern die Möglichkeit eingeräumt würde, für die Planung von Versetzungen Persönlichkeitsprofile der Beschäftigten zu erstellen?
Was wäre dies anders als Vorratsdatenspeicherung auf betrieblicher Ebene?
5. Dass durch § 32c Abs. 3 Nr. 2 Arbeitgebern die Möglichkeit eingeräumt würde, ärztliche Untersuchungen durchführen zu können, wenn eine Versetzung geplant ist?
Wäre dies nicht die Lizenz für Arbeitgeber, eine Beförderung vom Gesundheitszustand abhängig zu machen?
6. Dass durch § 32d Abs. 3 Arbeitgebern eine Lizenz zur Kontrolle erteilt würde, wenn künftig anlasslose Screenings von E-Mails und Internetzugriffen durchgeführt werden können, um zu prüfen, ob es Straftaten aus dem Bereich der Untreue, Vorteilsnahme oder Bestechlichkeit gegeben hat?
Damit würden Maßnahmen legalisiert, die in der Vergangenheit als Datenschutzskandale galten (z.B. bei der Bahn).
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Caspari
Sehr geehrter Herr Caspari,
vielen Dank für Ihre Mail vom 15. Januar 2013 über abgeordnetenwatch.de in der Sie sich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie die Änderungsanträge der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP zum Beschäftigtendatenschutzgesetz (Ausschussdrucksache 17(4)636) beziehen.
Gerne möchte ich zu den von Ihnen aufgeführten Kritikpunkten auch im Namen der SPD-Bundestagsfraktion Stellung nehmen. Bitte haben Sie aber Verständnis dafür, dass wir auf die vielen gleichlautenden Schreiben und Mails auch gleichlautend antworten
Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit den Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen von Anfang Januar insgesamt ab. Selbst die beiden kleinen Änderungen zu Gunsten der Arbeitnehmer (Abweichung durch Betriebsvereinbarung nur “nach oben“ sowie Zulässigkeit der Einwilligung im Arbeitsverhältnis nur bei wenigen Ausnahmen) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gesetzentwurf in der aktuellen Fassung nur eines im Sinn hat, nämlich: Das Recht der Beschäftigten auf informationelle Selbstbestimmung zu beschneiden - und zwar zu Gunsten der Unternehmen bzw. der Wirtschaft.
Wir stimmen grundsätzlich mit Ihnen überein, was die Bewertung der einzelnen - neuen - Regelungen betrifft. So teilen wir Ihre Auffassung, dass das Fragerecht unzureichend und nicht nach der aktuellen Rechtsprechung geregelt ist. Das Fragerecht wird zwar eingeschränkt, aber nicht entsprechend der Rechtsprechung von BAG und EuGH, wonach eine Frage nach Schwangerschaft oder Behinderung nicht erlaubt ist. Das SGB macht keine Unterscheidung zwischen Behinderung, so dass wir diese Beschränkung auch ablehnen. Die SPD-Fraktion fordert darüber hinaus auch das Verbot der Frage nach öffentlichen Ehrenämtern sowie nach den Vermögensverhältnissen.
Was § 32c Abs. 3 Nr. 2 betrifft, so halten wir diese Formulierungen für zu unbestimmt und zu weitgehend, so dass wir hier auch eine Missbrauchsgefahr durch Arbeitgeber im Rahmen von Beförderungen sehen. Insbesondere ältere Arbeitnehmer könnten unter dem Beförderungs- oder Versetzungsvorwand so aussortiert werden.
Bezüglich der neuen Regelung des § 32 d sehen wir ebenfalls erhöhte Missbrauchsgefahr. Denn weiterhin soll ein automatisierter Abgleich von Daten erfolgen dürfen, auch zur vorbeugenden (!) Bekämpfung von Straftaten (ohne Begrenzung auf einzelne Delikte) und zur Aufdeckung von schwerwiegenden Pflichtverletzungen (z.B. außerordentliche Kündigungsgründe) sowie zur Einhaltung von unternehmerischen Compliance-Anordnungen. Dies lehnen wir ab. Die SPD-Fraktion fordert die Zulässigkeit eines Abgleiches lediglich zur Verfolgung ausgewählter, insbesondere korruptionsspezifischer, Straftaten. Auch wir schätzen die Regelungen so ein, dass damit die Maßnahmen der großen Datenschutz-Skandale wie bei Lidl, Aldi, der Bahn und Co. legalisiert wären.
Unsere Forderungen für einen effektiven Beschäftigtendatenschutz finden Sie auch in der Bundestagsdrucksache 17/7176 sowie in unserem Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Darüber hinaus gibt es viele weitere Aspekte, warum die SPD-Fraktion den Gesetzentwurf der Bundesregierung insgesamt vehement ablehnt. Diese finden Sie auch in der nachfolgenden Aufstellung.
*Fragerecht*
Das Fragerecht des Arbeitgebers bei Vorstellungsgesprächen wird zwar eingeschränkt, aber nicht entsprechend der Rechtsprechung von Bundesarbeitsgericht und Europäischem Gerichtshof, wonach eine Frage nach Schwangerschaft, Behinderung nicht erlaubt ist. Das bleibt im Entwurf offen. Die SPD-Fraktion fordert darüber hinaus auch das Verbot der Frage nach öffentlichen Ehrenämtern sowie nach den Vermögensverhältnissen.
*Öffentlich zugängliche Datenerhebung*
Der Änderungsantrag der Koalition enthält keine explizite Regelung mehr zu der Datenerhebung aus sozialen Netzwerken. Eine ursprünglich enthaltene Regelung wurde gestrichen. Vielmehr soll eine solche Datenerhebung jetzt bei allgemein öffentlich zugänglichen Daten ohne Mitwirkung oder Zustimmung des Betroffenen möglich sein. Dazu zählen auch die für alle Mitglieder offenen Bereiche sozialer Netzwerke. Eine so weite generelle Datenerhebung lehnt die SPD-Fraktion in ihrem Antrag (Drs. 17/7176, Punkt II. Nr. 1. a) cc) insbesondere für im Internet verfügbare Daten, ab, zumal die Öffentlichkeitseinstellungen von den Anbietern häufig geändert werden (siehe Facebook) oder Daten von Dritten ohne Kenntnis des Betroffenen öffentlich gemacht werden können.
*Screening/automatisierter Abgleich*
Weiterhin soll ein automatisierter Abgleich von Daten erfolgen dürfen, auch zur vorbeugenden (!) Bekämpfung von Straftaten und zur Aufdeckung schwerwiegenden Pflichtverletzungen (z.B. außerordentliche Kündigungsgründe) sowie zur Einhaltung von unternehmerischen Compliance-Anordnungen. Dies lehnen wir ab. Die SPD-Fraktion fordert die Zulässigkeit eines Abgleiches lediglich zur Verfolgung ausgewählter, insbesondere korruptionsspezifischer Straftaten - und dies auch nur bei Vorliegen handfester Beweise.
*Datenerhebung im Beschäftigungsverhältnis*
Weiterhin sind nach § 32 c Abs. 3 Nr. 2 des geplanten Beschäftigtendatenschutzgesetzes ärztliche Untersuchungen bei einem Wechsel der Tätigkeit erlaubt, ohne dass es eine auf einem sachlichen Rechtfertigungsgrund beruhende Einschränkung wie in Abs. 3 Nr. 1 gibt. Das ist zu weitgehend. Zu befürchten ist, dass diese Öffnung insbesondere zulasten älterer Arbeitnehmer geht.
*Datenverarbeitung/-nutzung im Beschäftigungsverhältnis*
Es fehlt weiterhin die Mitteilung an den Beschäftigten bzw. die betriebliche Interessenvertretung bei Datenübermittlung an Dritte sowie ein entsprechende Haftungstatbestand bei zweckwidriger Verwendung.
*Datenerhebung ohne Kenntnis des Beschäftigten zur Aufdeckung und Verhinderung von Straftaten und anderen schwerwiegenden Pflichtverletzungen (§ 32 e)*
Der Gesetzentwurf beinhaltet weiterhin die Datenerhebung ohne Kenntnis des Beschäftigten wegen einer Straftat oder einer schwerwiegende Pflichtverletzung sowie entsprechende präventive Maßnahmen. Die Erhebungsgründe in § 32 e Abs. 2 des geplanten Gesetzes sind immer noch zu weit. Die SPD-Fraktion verlangt daher das „Vorliegen von vorab zu dokumentierenden tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht einer Straftat“. Die Datenerhebung ohne Kenntnis des Beschäftigten bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen sowie die präventive Erhebungen sind ausgeschlossen.
*Überwachung*
Mit dem Entwurf wird die Videoüberwachung nicht plötzlich unzulässig, vielmehr ist auch in dieser Fassung weiterhin eine präventive und zeitlich unbegrenzte Videoüberwachung zulässig. So ist unter anderem zur rechtlich verpflichtenden (d.h. auch durch vertragliche Verpflichtungen selbst geschaffene) Qualitätskontrolle, zur Wahrnehmung des Hausrechts, zur Zutrittskontrolle, zur Sicherheit des Beschäftigten, zum Schutz von Eigentum, zur Sicherung von Anlagen und zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Betriebes die Videoüberwachung erlaubt. Lediglich in überwiegend privat genutzten Räumen - und das dürften in den meisten Betrieben lediglich die sanitären Anlagen und Umkleideräume sein - bleibt eine Videoüberwachung unverändert verboten. Zudem fehlt eine Aufklärungsverpflichtung gegenüber den Arbeitnehmern, hinsichtlich Zeit, Ort und Zweck der Kontrolle, wie er im SPD- Antrag (Drs. 17/7176, Nr. 1 b) hh)) gefordert wird.
*Ortungssysteme*
Die SPD-Fraktion fordert eine klarstellende Regelung, dass anfallende Daten aus Ortungssystemen nicht auch zur Verhaltens- und Leistungskontrolle genutzt werden dürfen. Diese eindeutige Beschränkung fehlt. Gerade bei Ortungssystemen liegt ein entsprechender Missbrauch nahe (siehe Drs. 17/7176, Nr. 1 b) ii) sowie Änderungsantrag Nr. 3 h)). Diese fehlt nach wie vor im Koalitionsentwurf.
*Biometrische Verfahren*
Die SPD-Fraktion fordert eine Beschränkung der Erhebung zu Authentifizierungszwecken für besonders sicherheitsrelevante Bereiche, eine Einwilligung des Beschäftigten sowie eine Beschränkung auf die Nutzung für einen Ad-hoc-Abgleich, nicht aber zur Speicherung von Eingangs- und Ausgangsdaten (Drs. 17/7176, II. 1. b) ii)).
*Nutzung von Telekommunikationsdiensten § 32 i*
Callcenter-Mitarbeiter können unter Dauerüberwachung gestellt werden. Insbesondere hinsichtlich der Verhaltens- und Leistungskontrolle gibt es keine zeitliche Begrenzung. Eine dauerhafte Überwachungsmaßnahme ist nach der Rechtsprechung aber wegen der Schaffung eines andauernden und ständigen Überwachungsdrucks unwirksam und verfassungswidrig, weil eine solche Maßnahme mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar ist. Weiterhin wird nicht geregelt, wie entsprechende Kontrollen bei erlaubter oder privater Nutzung von Kommunikationsdiensten erfolgen können. Die SPD-Fraktion fordert eine vorab zu dokumentierende und anlassbezogene, auf tatsächlichen Anhaltspunkten für Fehlverhalten beruhende Verhaltenskontrolle sowie ein Verbot der generellen Inhaltskontrolle auch bei Callcentern (Drs.17/7176 Nr. 1 kk), ll)).
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt ein Gesetzesentwurf, der die Interessen der Wirtschaft und Unternehmen in den Vordergrund und Arbeitnehmerrechte hinten an stellt. Mit Beschäftigtendaten-SCHUTZgesetz hat dies nichts zutun. Vielmehr sind das Gesetz und das groß gefeierte Verbot von heimlichen Videoüberwachungen eine Mogelpackung, die den Abbau von Arbeitnehmerrechten kaschieren soll. Mit dem Gesetz werden die Überwachungs- und Bespitzelungsmöglichkeiten ausgeweitet statt eingeschränkt!
Abschließend möchte ich mich für Ihr Engagement bedanken. Bitte lassen Sie uns weiter dafür kämpfen, dass dieses Gesetz nicht verabschiedet wird. Jede Email, jeder Brief, jeder sonstige Protest gegenüber der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP kann helfen!
Mit freundlichen Gründen
Manfred Nink