Sehr geehrte Frau Wallstein - was hatte Sie bewogen, gegen das "Zustrombegrenzungsgesetz" zu stimmen"

Sehr geehrter Herr L.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Es ist gut, dass der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion keine Mehrheit im Deutschen Bundestag gefunden hat. Denn das, was die Union zur Migrationspolitik eingebracht hat, ist nicht durchdacht und verstößt gegen Europa-, internationales und Verfassungsrecht.
Lassen Sie mich das an drei Punkten näher ausführen:
- Der Begriff „Begrenzung“ soll wieder in den Zweck des Aufenthaltsgesetzes übernommen werden.
Die Regelung ist reine Symbolpolitik ohne konkrete Auswirkungen auf das Migrationsgeschehen. Die Steuerung von Migration beinhaltet bereits eine Begrenzung, wo notwendig. Zudem brauchen wir die Migration von dringend benötigten Fachkräften. Da wäre eine allgemeine Begrenzung kontraproduktiv.
- Beendigung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte.
Der Familiennachzug ist nach geltendem Recht schon jetzt nur noch aus humanitären Gründen möglich. Zudem gilt eine Kontingentierung von max. 1000 Personen pro Monat. Dieses Kontingent wurde in der Vergangenheit oftmals nicht ausgeschöpft.
Die von CDU/CSU gewollte vollständige dauerhafte Abschaffung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte ist völkerrechtlich bedenklich. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann der Familiennachzug für diese Personengruppe lediglich temporär, aber nicht dauerhaft ohne Einzelfallprüfung ausgeschlossen werden.
Auch das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht haben in verschiedener Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass eine dauerhafte Verweigerung des Familiennachzugs ohne Berücksichtigung von begründeten besonderen Härten nicht rechtskonform sei.
- Zuständigkeitserweiterung der Bundespolizei für Abschiebungen (inklusive Abschiebungshaft).
Die Bundespolizei arbeitet jetzt schon an der Grenze ihrer Kapazitäten - personell und finanziell. Es wäre falsch ihr noch mehr Aufgaben zuzuschieben, da sie sonst ihre tatsächlichen Aufgaben an Bahnhöfen, Grenzen und Flughäfen nicht mehr wahrnehmen kann.
Darüber hinaus sind die Zuständigkeiten für Abschiebungen klar geregelt. Sie liegen grundsätzlich bei den Bundesländern und hier bei den Ausländerbehörden. Bereits heute besteht in eng begrenzten Fällen, in denen es sinnvoll ist, eine Zuständigkeit der Bundespolizei - im 30 km-Grenzgebiet ist die Bundespolizei z. B. für Zurückschiebungen zuständig. Eine Zuständigkeitslücke gibt es nicht. Vielmehr ergeben sich bei der Forderung der Union Doppelzuständigkeiten und ein problematisches Zuständigkeitswirrwarr.
In der Praxis sollte die Zusammenarbeit zwischen den Behörden verbessert werden und z. B eine durchgängige Erreichbarkeit bei den Ausländerbehörden sichergestellt werden.
Bereits jetzt unterstützt der Bund die Länder im Rahmen seiner Zuständigkeit und Möglichkeiten, insbesondere bei der Passersatzbeschaffung und Flugabschiebung.
Wir wollen die nationale Umsetzung der Europäischen Asylrechtsreform (GEAS).
- Nach dem GEAS sollen alle Personen, die irregulär in die EU einreisen, ein effizientes und verpflichtendes Screening innerhalb einer kurzen, wenige Tage dauernden Zeitspanne durchlaufen.
- In vielen Fällen sollen bei der Einreise über die EU-Außengrenzen die Asylverfahren bereits dort im Asylgrenzverfahren durchgeführt werden.
- Vereinbart wurde zudem erstmals ein neuer Solidaritätsmechanismus. EU-Mitgliedstaaten, in denen viele Geflüchtete ankommen, sollen z. B. durch die Übernahme von Schutzsuchenden oder finanzielle Unterstützung entlastet werden. Die bisherigen Regeln werden reformiert, um die Verfahren zu beschleunigen und so die irreguläre Sekundärmigration - also das unkontrollierte Weiterziehen in andere EU-Mitgliedsstaaten - zu reduzieren.
- Die GEAS-Rechtsakte sehen Möglichkeiten zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit sowie zu Haft vor. Abschiebungen können unter bestimmten Bedingungen schnellerdurchgeführt werden.
- Mit der Umsetzung der europäischen Einigung in nationales Recht haben wir auch ein Pilotprojekt zur Durchführung von Asylgrenzverfahren vorgesehen, die ab dem 12. Juni 2026 verpflichtend auch an den deutschen Außengrenzen anzuwenden sind. Wir wollen jetzt starten, um bereits Erfahrungswerte zu sammeln.
Für mich war und ist das Thema Migration eine europäische Angelegenheit. Kein EU-Mitgliedsstaat wird sie allein regeln können. Nur im Verbund kann es uns gelingen - ähnlich wie z. B. beim menschengemachten Klimawandel - diese große Herausforderung zu meistern.
Neben dem Fachlichen möchte ich Ihnen an dieser Stelle aber auch noch sagen, was mich persönlich dazu bewegt hat, diesem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. Nämlich, dass Friedrich Merz und die CDU/CSU bewusst die Zustimmung der AfD in Kauf genommen haben. Dies ist für mich als Sozialdemokratin und viele andere untragbar und ein absoluter Tabu-Bruch. Für die SPD-Bundestagsfraktion und mich ist klar: Es gab, gibt und wird keine Zusammenarbeit, in welcher Form auch immer, mit Parteien der extremen Rechten geben!
Mit freundlichen Grüßen
Maja Wallstein, MdB