Werden Sie dem AfD-Verbotsantrag bzw. dem Antrag auf Prüfung eines Verbots, der in der nächsten Woche im Bundestag auf der TO steht, zustimmen?

Sehr geehrte Frau H.,
vielen Dank für Ihre Frage. Es freut mich, dass Sie sich Gedanken um unsere Demokratie und das Miteinander in unserer Gesellschaft machen. Meine Partei, die SPD, hat in ihrer langen Geschichte immer gegen Faschismus und Rechtsextremismus gekämpft und sich für Demokratie und Freiheit eingesetzt. Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben ihren Einsatz gegen rechts mit dem Leben bezahlt. Ich kann Ihnen versichern: Wir werden in diesem Kampf nicht nachlassen. Sie und viele andere Bürgerinnen und Bürger dabei hinter mir zu wissen, gibt mir Mut und Hoffnung.
Gegen Verfassungsfeinde stellt das Grundgesetz mit dem Parteiverbotsverfahren nach Artikel 21 Absatz 2 das schärfste Schwert unserer wehrhaften Demokratie bereit. Danach sind „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, […] verfassungswidrig.“
Die Folgen sind drastisch: Stellt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer Partei fest, ordnet es deren Auflösung an, verbietet die Gründung einer Ersatzorganisation und kann die Einziehung des Parteivermögens zu gemeinnützigen Zwecken aussprechen (§ 46 Absatz 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz). Weiterhin verlieren Mitglieder des Deutschen Bundestages, die dieser Partei angehören, nach § 46 Absatz 1 Nummer 5 des Bundeswahlgesetzes ihr Mandat.
Aufgrund dieser drastischen Folgen sind die Anforderungen an das Verbot einer Partei in unserer Demokratie, die maßgeblich durch den parteipolitischen Diskurs lebt, hoch. Eine Haltung, die in der politischen Meinungsäußerung oberste Verfassungswerte in Zweifel zieht, nicht anerkennt, ablehnt oder ihnen andere entgegensetzt, genügt diesen Anforderungen nicht.
Eine Partei kann durch das Bundesverfassungsgericht nur dann verboten werden, wenn sie planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigen will. Dies setzt voraus, dass konkrete, gewichtige Anhaltspunkte vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann. Dies muss in einem ordnungsgemäßen Verfahren festgestellt werden, das nach bisherigen Erfahrungen mindestens eineinhalb Jahre in Anspruch nehmen wird.
In einem Parteiverbotsverfahren müssen eindeutige Beweise vorgebracht werden. Die hohen Voraussetzungen für ein Parteiverbot stellen auch an diese Beweisführung erhebliche Ansprüche. Skandale wie beispielsweise das bekannt gewordene konspirative Treffen unter Beteiligung von AfD-Mitgliedern in Potsdam, bei dem rassistische „Remigrationspläne“ geschmiedet wurden, oder die Spionagevorwürfe gegen AfD-Politiker sind schockierend. Dennoch haben die vergangenen Parteiverbotsverfahren gezeigt, dass das Bundesverfassungsgericht strengste Maßstäbe bei der Bewertung der Verfassungswidrigkeit einer Partei anlegt. Deshalb sind viele Expertinnen und Experten skeptisch, ob die vorliegenden öffentlich zugänglichen Informationen bereits für ein Verbot der AfD ausreichen würden.
Anträge auf Prüfung eines Parteiverbots gibt es dabei nicht. Der Antrag darf sich nicht ergebnisoffen auf eine Prüfung richten, sondern richtet sich ausdrücklich auf ein Verbot der Partei. Deshalb muss ein entsprechender Antrag umfassend begründet sein und bereits mit den erforderlichen Beweismitteln vorgelegt werden (§ 23 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz). Für eine umfassende Beweissammlung sind die Antragsberechtigten auch auf die Ermittlungen hierzu berufener staatlicher Institutionen angewiesen. Seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend sammelt das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen über Bestrebungen, die gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Aufgrund ihrer immer deutlicher zutage tretenden Haltung wird auch die AfD als Gesamtpartei in diesem Sinne als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt.
Dass die AfD rechtmäßig durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet wird, hat nach dem Verwaltungsgericht Köln nun auch das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt. Der Verfassungsschutz darf somit auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln Erkenntnisse über die Handlungen der AfD sammeln. Die Auswertung dieser Erkenntnisse durch den Verfassungsschutz spielt auch für uns als SPD-Fraktion eine Rolle, wenn wir gemeinsam darüber entscheiden, ob wir uns als Fraktion für die Beantragung eines Verbots der AfD einsetzen. Es handelt sich um eine politische Entscheidung mit großer Tragweite, die wir uns als Teil des Verfassungsorgans Bundestag nicht leicht machen. Deshalb müssen wir jede Möglichkeit zur Beweissammlung nutzen, um schließlich darüber entscheiden zu können, ob ein Antrag auf ein Parteiverbot der beste Weg ist. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat angekündigt, erst nach der Bundestagswahl ein entsprechendes Gutachten mit ihren Erkenntnissen vorzulegen.
Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ist von einer gründlichen und finalen Befassung mit entsprechenden Anträgen in dieser Wahlperiode nicht mehr auszugehen. Für einen Beschlussantrag, mit dem sofort über einen Verbotsantrag des Deutschen Bundestages entschieden werden soll, ist nach heutigem Stand eine Mehrheit im Plenum absolut nicht zu erwarten, da die Fraktionen CDU/CSU und FDP mit wenigen Ausnahmen aktuell jegliche Unterstützung dieses Vorhabens ausgeschlossen haben. Ohnehin wäre ein solcher Beschlussantrag für den nächsten Bundestag nicht bindend.
Der Antrag auf ein Verbot der AfD müsste also bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages Ende März 2025 beim Bundesverfassungsgericht eingehen. Dies ist in der Kürze der Zeit jedoch nicht mehr zu erwarten, da allein die Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten und die Erstellung einer ordnungsgemäß begründeten Antragsschrift mehrere Monate in Anspruch nehmen wird. Deshalb sollte sich der nächste Deutsche Bundestag mit den neuen Erkenntnissen und Einschätzungen der zuständigen Behörden so schnell wie möglich auseinandersetzen und einen entsprechenden Antrag beraten. Sie können sicher sein, dass ich bei einer sicheren Beweislage selbstverständlich einem Verbotsantrag zustimmen werde.
Ein Parteiverbot kann ein Hilfsmittel im Kampf gegen Rechtsextremismus sein. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass die Unzufriedenheit, welche viele Wählerinnen und Wähler durch die Wahl der AfD zum Ausdruck bringen, durch ein Verbot nicht verschwinden würde. Entscheidend ist daher aus meiner Sicht, diesem Unmut durch die Lösung konkreter Probleme zu begegnen und extreme Positionen politisch zu stellen. Deshalb gilt es unsere Energie vielmehr daraufzulegen, die Menschen, die nicht mehr an die Leistungsgerechtigkeit im Sozialstaat glauben, wieder von unserer Politik zu überzeugen! Grundsätzlich gilt aber auch, der beste Verfassungsschutz ist der Wahltag selbst und die Wahl einer demokratischen Partei. Wenn Sie sich aktiv gegen rechte Tendenzen in der Gesellschaft und Politik einsetzen möchten ist es wichtig, dass auch Sie von Ihrem Wahlrecht gebraucht machen und vielleicht sogar der SPD, der ältesten antifaschistischen Bewegung Deutschlands, beitreten.
Mit freundlichen Grüßen
Mahmut Özdemir