Frage an Mahmut Özdemir von Jürgen J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Wie beurteilen Sie die derzeitigen Veränderungen in der Türkei und wie stehen sie zum Präsidenten Erdogan?
Sehr geehrter Herr J.,
Sie haben eine Anfrage auf der Seite www.abgeordnetenwatch.de gestellt. Als Duisburger Bundestagsabgeordneter antworte ich Ihnen gerne darauf.
Deutschland und die Türkei sind in vielfältiger Weise verbunden - nicht nur durch die fast drei Millionen Menschen türkischer Herkunft, die in Deutschland leben, und die engen familiären und freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen unserer Länder. Die Türkei ist für Deutschland auch ein wichtiger Partner mit Blick auf die Lösung des Syrienkonflikts, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die Zusammenarbeit in Sachen Flucht und Migration, die Bündnispartnerschaft in der NATO und unsere intensiven wirtschaftlichen Beziehungen.
Auch in schwierigen Zeiten muss Deutschland auf einen professionellen diplomatischen Dialog bestehen. Dabei ist es für mich persönlich irrelevant, wie sich der türkische Staatspräsident Erdogan verhält. Ein freiheitliches, demokratisches Land wie Deutschland darf in den Gesprächen mit der Türkei seine Professionalität nicht aufgeben, unabhängig vom Verhalten der Gegenseite. Dass Erdogan immer wieder gezielt Deutschland provoziert, mildert die Lage natürlich nicht und vereinfacht auch nicht die Gespräche mit der Türkei. Viele Deutsche wünschen sich harte Ansagen ihrer Regierung an Erdogan. In dieser Zeit jedoch in eine offene Konfrontation oder Sprachlosigkeit mit der Türkei zu verfallen, wären zwei Extrema, die beide falsch wären. Doch wehrlos sind wir natürlich auch nicht:
Wir nehmen mit unseren EU-Partnern und der EU-Kommission die Vorbeitrittshilfen für die Türkei unter die Lupe. Uns ist wichtig, die demokratischen Widerstandskräfte der Türkei zu stärken, und dass diese EU-Mittel Projekten zugutekommen, die die Zivilgesellschaft stärken. Darüber hinaus wollen wir unsere Kredite, die wir über Bundesbürgschaften absichern, reduzieren. Und die Vorbeitrittsbeihilfen müssen gekürzt werden. In der derzeitigen Situation sind Verhandlungen über die Modernisierung der Zollunion ebenfalls nicht vorstellbar. Ebenso wenig natürlich weitere Kapitelöffnungen in den EU-Beitrittsverhandlungen. Außerdem hat das Auswärtige Amt bereits vor Wochen seine Reisehinweise an die gegenwärtige Situation in der Türkei angepasst.
Die massive Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit und die Verhaftung von Abgeordneten sind besorgniserregend. Mit seinen Reaktionen auf dieses Unrecht muss Deutschland immer darauf bedacht sein, nicht diejenigen Türken abzustrafen, die eigentlich deutschland- und europafreundlich sind.
Mit freundlichen Grüßen
Mahmut Özdemir, MdB