Frage an Lars Castellucci von Christian J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Wie ist Ihre Position zum Thema "Aufnahme von Flüchtlingen ohne Obergrenzen"?
Sehr geehrter Herr J.,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Die Bundesrepublik hat das Recht auf Asyl nach den Erfahrungen der Jahre 1933 bis 1945 bewusst eingeführt. Trotz aller Veränderungen im Lauf der letzten Jahre und Jahrzehnte stehen wir dafür ein, dass individuelle Verfolgungsschicksale ein Recht auf Schutz begründen und Deutschland diesen Schutz auch zu gewähren hat. Deshalb lehne ich eine Obergrenze ab.
Die Frage nach der Zulässigkeit einer Obergrenze ist aber auch eine rechtliche Frage. Hier verweise ich vor allem auf die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, der sich ausführlich mit dem Thema "Obergrenzen für Asylsuchende und Bürgerkriegsflüchtlinge im Lichte des EU-Rechts" beschäftigt hat (www.tagesschau.de/obergrenze-103~_origin-86dc1e11-e84d-42f7-8777-7dc78cfa51bb.pdf) . In diesem Gutachten wird deutlich, dass es quasi unmöglich ist, im Rahmen des europäischen und internationalen Rechts eine quantitative Begrenzung für die Aufnahme international Schutzsuchender einzuführen. Auch andere Juristen kommen zu dem Ergebnis, dass für die Gewährung internationalen Schutzes, bei denen die Antragsteller die Grenze der Bundesrepublik erreicht haben und nicht zurückgeschoben werden können (Refoulement-Verbot), "harte" Obergrenzen nicht einseitig angeordnet werden können. Sie sind allenfalls denkbar bei einem "Quasi-Notstand", der die organisierte Staatlichkeit als Voraussetzung menschenrechtlicher Schutzgewähr ernsthaft gefährdet (www.nomos-shop.de/_assets/downloads/9783848739134_lese01.pdf S.69) .
Im Ergebnis kann man festhalten, dass für einzelne Mitgliedsstaaten eine Obergrenze nicht vereinbar mit dem gegebenen Rahmen internationalen und europäischen Rechts wäre. Nur mit Notstandserklärung innerhalb der EU und unter Aufkündigung der Genfer Flüchtlingskonvention wäre die Begrenzung der Aufnahme international Schutzsuchender in Deutschland in nationales Recht umsetzbar.
Diese Ausarbeitung des wissenschaftlichen Diensts und die juristische Literatur zeigt, dass diejenigen, die von "Begrenzung der Flüchtlingszahlen" reden, nichts weiter als heiße Luft verbreiten. Denn das Grundrecht auf Asyl und seine Entsprechungen in den europäischen und internationalen Rechtssystemen wäre nur in einem Staatsnotstand aussetzbar - und von einem solchen kann keine Rede sein.
Einen Überblick über die beständige Weiterentwicklung (im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses und darüber hinaus) findet sich hier: www.zar.nomos.de/fileadmin/zar/doc/Aufsatz_ZAR_09_5-6.pdf
Freundliche Grüße
Lars Castellucci