Frage an Klaus Hänsch von Karl Magnus F. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Warum muss der Vertrag von Lissabon (besser wäre eine EU-Verfassung)
im Neoliberalen Ungeist gehalten sein, und warum müssen sich die Mitgliedstaaten zur militärischen Aufrüstung (Art. 42) verpflichten?
solange das drin steht, hat der Vertrag keine Chance von allen ratifiziert
zu werden.
MfG K.M.Friedrich
Sehr geehrter Herr Friedrich,
dank des Vertrags von Lissabon stellt sich die Europäische Union zunehmend auch als eine Sozialunion dar: Der Vertrag betont ausdrücklich das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft als zentrales Ziel der Europäischen Union. Über eine sog. "Querschnittsklausel" sorgt er dafür, dass soziale Aspekte in Zukunft bei allen EU-Initiativen politikbereichübergreifend berücksichtigt werden müssen. Die Europäische Kommission wird verpflichtet, künftig bei jeder EU-Gesetzesinitiative von Anfang an auch deren mögliche soziale Auswirkungen mit zu bedenken und ggf. zu beheben: "Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen trägt die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung." (Art. 9 AEUV). Die Charta der Grundrechte, die mit In-Kraft-Treten des Lissabon-Vertrags ebenfalls rechtlich verbindlich wird, garantiert den Bürgerinnen und Bürgern der EU auch soziale Grundrechte.
Ob in der Union darüber hinaus in der Praxis eine "neoliberale" oder eine soziale Politik betrieben wird, hängt von den Mehrheiten ab, die die europäischen Bürgerinnen und Bürger ins Europäische Parlament und in die nationalen Parlamente wählen.
Der Reformvertrag von Lissabon verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten nicht zur militärischen Aufrüstung. Er legt im Gegenteil als oberstes Ziel die Förderung von Abrüstungsmaßnehmen fest (Art. 43 EUV). Die Europäische Union braucht eine gemeinsame Sicherheitspolitik als Teil der gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Das ist auch schon in den heute geltenden Verträgen so festgelegt. Die Europäische Verteidigungsagentur hat den Auftrag, den "operativen Bedarf" der EU an militärischen Fähigkeiten zu ermitteln und die Bedarfsdeckung zu fördern (Art. 42,3). Wenn die Mitgliedstaaten der EU in Krisensituationen Soldaten einsetzen, müssen diese das beste verfügbare Material bekommen. Ewas anderes halte ich für unverantwortlich gegenüber den Soldaten. Über Rüstungsexporte und deren Einschränkungen sowie den Einsatz deutscher Soldaten und militärischer Ausrüstung entscheiden auch in Zukunft nicht die EU-Verträge, sondern die nationalen Regierungen und, wo verfassungsrechtlich vorgesehen, auch die Parlamente der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Hänsch