Frage an Klaus Hänsch von Barbara S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Hänsch,
Nachdem ich den Vertrag von Lissabon gelesen habe, möchte ich Ihnen gerne ein paar Fragen dazu stellen.
Da der Vertrag von Lissabon vor unserem GG Gültigkeit haben soll, stelle ich mir die Frage, ob es gemäß Art.146 GG nicht illegal war diese Entscheidung lediglich vom Bundestag treffen zu lassen. Man erinnere sich daran, dass man die Gründung des Bundeslandes BW für wichtig genug befand, um eine Volksabstimmung durchführen zu lassen. Und nun vertritt der Bundestag die Ansicht, dass eine "neue", übergeordnete Verfassung weniger Bedeutung für das betroffene deutsche Volk hat?
Ebenso nachdenklich stimmte mich die Tatsache, dass mit diesem Vertrag die Todesstrafe wieder eingeführt wird. Ich kann dazu keinerlei Notwendigkeit erkennen. Wir wissen in Deutschland nur zu gut, dass die Todesstrafe sehr leicht für politische Zwecke mißbraucht werden kann.
Im übrigen würde mich brennend interessieren, was Sie von einer Demokratie halten, die nicht dem Prinzip der Gewaltenteilung folgt.
Mit freundlichen Grüßen,
B.Saier
Sehr geehrte Frau Saier,
Das Grundgesetz schreibt vor, daß internationale Verträge, also auch der Vertrag von Lissabon, durch Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden. Es erlaubt nicht, internationale Verträge durch Volksabstimmung anzunehmen. Für die Gründung des Landes Baden-Württemberg sah das Grundgesetz ausnahmsweise eine Volksbefragung vor. Andere Sonderfälle sind Volksentscheide über die Neugliederung des Bundesgebietes. Das sind ausdrücklich Ausnahmen, die nicht einfach auf andere Fälle übertragen werden können. Voraussetzung für eine Volksabstimmung über internationale Verträge ist eine formelle Änderung des Grundgesetzes, für die es bisher keine Mehrheit im Bundestag gibt. Im übrigen ist der Reformvertrag keine "übergeordnete Verfassung" für das deutsche Volk.
Die Behauptung, der Vertrag von Lissabon führe die Todesstrafe wieder ein, ist falsch. Ganz im Gegenteil garantiert Artikel 2 der Charta der europäischen Grundrechte, die durch den Lissabonvertrag rechtsverbindlich wird, das Recht auf Leben und die vollständige Abschaffung der Todesstrafe in allen EU-Mitgliedstaaten. Seit 2003 ist klargestellt, daß das auch in Kriegszeiten gilt. Auch durch einen Verweis im Reformvertrag auf Artikel 2 Absatz 2 der EMRK wird die Todesstrafe nicht zulässig. Dieser Artikel regelt lediglich die Zulässigkeit von Notwehr bzw. Gefahrenabwehr durch Gewalt mit Todesfolge. Das ist ein erheblicher Unterschied. Notwehr ist selbstverständlich nicht mit Todesstrafe gleichzusetzen. Notwehr ist in allen Rechtsstaaten im Rahmen der Gesetze und unter der Kontrolle der Gerichte erlaubt. Das muß zum Schutz der Bürger auch so sein.
Auch in der Europäischen Union gilt das Prinzip der Gewaltenteilung. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist allerdings kein Prinzip der demokratischen Legitimation von Macht, sondern ein System von checks and balances gegen den Mißbrauch politischer Macht. Daß sich in der EU Europäisches Parlament und Ministerrat die Befugnis zur Gesetzgebung teilen, hängt mit dem besonderen Charakter der EU als einer Union der Bürger und Staaten zusammen. Auch in Deutschland teilt sich der Bundestag in bestimmten Fällen mit dem Bundesrat die Befugnis zur Gesetzgebung. Im Bundesrat sitzen bekanntlich die Landesregierungen, also Exekutiven. Daß das ein Demokratiedefizit ist, hat unserem Land bisher niemand vorgeworfen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Hänsch