Frage an Klaus Hänsch von Horst G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Hänsch,
bezugnehmend auf Ihre vorhergehende Antwort an Herrn Nissen erlaube ich mir Sie darauf hinzuweisen, dass Sie selbst den vorhergehenden Verträgen zugestimmt haben, die jeweils für ihre Ratifizierung die Zustimmung ALLER Mitgliedsstaaten erfordern. Hier zwingt der jeweilige geltende Vertrag also ALLE Mitgliedstaaten zu einer Stellungnahme auf, egal ob durch die nationalen Parlamente oder Volksabstimmungen.
Da ist weder das JA noch das NEIN eines Landes ein Aufzwingen einer Meinung, sondern legitimes Recht sowohl des Staates als auch der geltenden EU-Rechte.
Sie selbst haben sich im Grundrechte- und Verfassungskonvent für eine bessere Demokratie und mehr Grundrechte in der EU eingesetzt und erhielten dafür die Zustimmung vieler Europäer.
Verscherzen Sie sich diese Anerkennung Ihrer Person bitte nicht mit solch demagogischen Argumenten.
Wäre es nicht besser für alle an der Entwicklung Europas Beteiligten, nach diesen dritten NEIN (Frankreich, Niederlande, Irland) ernst zu prüfen, ob nicht eine gründliche Änderung des Lissabon-Vertrages oder gar ein gänzlicher neuer, vom 3. Konvent erarbeiteter Verfassungsvertrag ohne die von den Völkern beanstandeten Politiken (ungehinderte Entfaltung der Marktwirtschaft und Aufrüstungsagentur und militärische Präventionskriege) erarbeitet und dann durch ein pan-europäisches Referendum allen europäischen Bürgern zur Abstimmung vorgelegt wird ? Sie werden meiner Meinung sein, dass dann die überwältigende Mehrheit JA zu diesem Grundvertrag Europas sagen wird.
Warum haben Sie nicht auch den Mut wie viele andere europäische Sozialisten, diesen Wandel zu fordern? Sie würden einen großen Teil der europäischen Zivilgesellschaft auf Ihrer Seite haben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Horst Grützke
Vorsitzender des "Europäischen Bürger-Netzwerkes EUROPA JETZT!"
Sehr geehrter Grützke,
es ist richtig, dass der Vertrag von Lissabon ohne die Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten nicht in Kraft treten kann - unabhängig davon, ob ein Land ihn durch ein Referendum oder durch eine Entscheidung seines nationalen Parlaments ablehnt. Die Europäische Union gründet sich auf einen internationalen Vertrag. Alle Vertragsstaaten müssen internationale Verträge (und auch deren Änderungen) nach den Regeln ihrer nationalen Verfassungen ratifizieren. Es ist das Recht jedes souveränen Staates, selbst über seine vertraglichen Bindungen zu entscheiden. Das ist ein Grundprinzip des internationalen Rechts. Sowohl parlamentarische als auch direktdemokratische Entscheidungen eines Landes haben dabei Auswirkungen auf alle anderen Vertragspartner.
Bei den Volksabstimmungen über den Verfassungsvertrag 2005 haben zwei Völker (Frankreich und die Niederlande) mit "Nein" und zwei (Spanien und Luxemburg) mit "Ja" gestimmt. Die Nein-Sager setzen sich durch, das "Ja" zählt nicht. Es ist zwar nach internationalem Vertragsrecht richtig, aber deswegen ist es doch noch lange nicht demokratisch, dass das "Ja" einfach ignoriert wird. Deshalb sollten Volksabstimmungen meiner Meinung nach nur über die Grundsatzfrage durchgeführt werden, ob ein Staat in der EU bleiben oder austreten möchte. Dann trifft das abstimmende Volk seine Entscheidung nur für sich selbst und nicht zugleich auch für die 26 anderen.
So wie die Dinge zurzeit liegen, ist der Reformvertrag von Lissabon gescheitert. Allerdings: Mit einem Referendum kann man zwar den Vertragstext wegstimmen, aber nicht die Probleme, für deren Lösung er die Grundlage sein sollte: Eine handlungsfähigere Union in den Bereichen innere Sicherheit, Globalisierung, Klimawandel, Energiesicherheit, und die Verbreiterung der demokratischen Legitimation ihres Handelns. Kurz gesagt: Der Reformvertrag will eine bessere EU, wer ihn ablehnt, behält die bisherige Union. Deshalb muss der Ratifikationsprozess in den acht Mitgliedstaaten, die sich noch nicht entschieden haben, fortgesetzt werden. Wenn alle 26 Mitgliedstaaten - bis auf Irland - ratifiziert haben, müssen sie mit den Iren gemeinsam nach Auswegen aus der Blockade suchen. Das Verhandlungspaket nochmals aufzuschnüren, kann dabei allerdings nicht in Frage kommen - wegen des "Ja" von 26 Staaten.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Hänsch