Sehr geehrter Herr Gröhler, Halten sie den Föderalismus noch für zeitgemäß oder reformbedürftig?
Braucht es wirklich 16 Schulverwaltungen, 16 IT Strategien für die öffentliche Verwaltung, 16 Verwaltungen gegen Steuersünder oder Geldwäsche?
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Föderalismus vom 01. September. Die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland halte ich nach wie vor im Kern für politisch sinnvoll und verfassungsrechtlich geboten, in ihrer konkreten Ausgestaltung besteht jedoch durchaus Reformbedarf.
Auf politischer Ebene hat gerade der Umgang mit der Coronapandemie in den vergangenen anderthalb Jahren die praktischen Auswirkungen unserer Staatsstruktur deutlich gemacht. So konnte zu Beginn der Pandemie innerhalb der einzelnen Bundesländer flexibel auf das jeweils vor Ort herrschende Infektionsgeschehen reagiert werden. Zudem konnten wir unterschiedliche Lösungsansätze einander gegenüberstellen. Ein solcher „Wettbewerb der Systeme“ führt meines Erachtens letztlich zum optimalen Ergebnis – eine eindeutige Stärke des Föderalismus. Die Kehrseite, nämlich die Zersplitterung in sechzehn unterschiedliche Regelungswerke, konnte zunächst durch die Abstimmung im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz abgemildert werden, im Frühjahr 2021 setzte der Bundestag schließlich national einheitliche Mindeststandards mit der Einführung der sog. Notbremse. Darüber hinaus zeigt der europäische Vergleich, dass eine zentralistische Staatsstruktur – wie beispielsweise in Frankreich – bei der Bewältigung derartiger Szenarien nicht zwingend überlegen ist.
Zudem ist der Föderalismus als solcher verfassungsrechtlich abgesichert. So schreibt Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes das Bestehen von Bundesländern sowie deren Mitwirkung an der Gesetzgebung des Bundes vor. Aus gutem Grund – die Verfasser wollten hiermit nach der Gleichschaltung im Dritten Reich die Rolle der Bundesländer, die diese traditionell innehatten, als Gegengewicht zur Bundesebene stärken.
Dies steht jedoch einer Änderung der konkreten Ausgestaltung unserer föderalen Struktur, speziell bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, grundsätzlich nicht entgegen. Beispielhaft für einen solchen Reformbedarf steht das Politikfeld der inneren Sicherheit. So hat der Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatzattentat, dessen Vorsitz ich in den vergangenen zwei Jahren innehatte, Defizite in der Kooperation der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Landesebene offengelegt. Inzwischen wurden wesentliche strukturelle Veränderungen zur besseren Zusammenarbeit im Rahmen des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) implementiert. Meiner Ansicht nach lassen sich Reibungsverluste bei der Interaktion unterschiedlicher Akteure, wie es dem Föderalismus immanent ist, durch eine solche institutionalisierte Zusammenarbeit deutlich reduzieren. Gleichzeitig sollten weitergehende Änderungen nicht von vorneherein ausgeschlossen werden. Darunter fällt die Möglichkeit der Stärkung der Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegenüber den sechzehn Landesämtern.
Auch im Rahmen der Digitalisierung der Verwaltung, die Sie mit dem Hinweis auf sechzehn unterschiedliche IT-Strategien ansprechen, besteht Verbesserungspotential in der Ausgestaltung des Verhältnisses der Länder untereinander bzw. der Länder zum Bund. Dabei teile ich die Auffassung meiner Fraktionskollegen Nadine Schön und Thomas Heilmann, die in ihrem Buch „Neustaat“ für einheitliche Schnittstellenstandards plädieren. Entscheidend ist demnach nicht die vollständige Vereinheitlichung der IT-Systeme, sondern deren Interoperabilität. Damit wäre eine reibungsloser Datenaustausch, beispielsweise zwischen zwei Länderpolizeien oder Staatsanwaltschaften, bei grenzüberschreitenden Sachverhalten möglich.
Bei Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Dieter Gröhler