Frage an Klaus-Dieter Gröhler von Stefan J. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gröhler,
ich bin sehr besorgt über die Entwicklung des Konfliktes in Bergkarabach. Gleichzeitig vermisse ich eine klare Positionierung sowohl der Bundesregierung, wie auch der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.
Ich lese von Angriffen auf armenische Zivilisten und die Verwendung von international geächteter Streumunition seitens aserbaidschanischer Streitkräfte.
Welche Position haben Sie und Ihre Fraktion zum aktuellen Konflikt?
Freundliche Grüße vom Bundesplatz
S. J.
Sehr geehrter Herr J.,
vielen Dank für Ihre Frage zur Entwicklung des Konflikts um Bergkarabach. Auch ich verfolge den Krieg in der Kaukasusregion mit großer Sorge.
Die CDU/CSU – Bundestagsfraktion fordert von den Konfliktparteien Aserbaidschan und Armenien die unverzügliche Beendigung der Kampfhandlungen. Dem schließe ich mich an und fordere sowohl die Republik Aserbaidschan als auch die Republik Armenien dazu auf, die ausgehandelte Waffenruhe endlich einzuhalten sowie alle Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen zu beenden. Darüber hinaus appelliere ich an die beiden Konfliktparteien, die Auseinandersetzung im Verhandlungswege beizulegen. Derzeit beschuldigen sich beide Seiten Phosphorgranaten, Streumunition und ausländische Söldner einzusetzen sowie gegen die Genfer Konvention zu verstoßen und Gefangene zu exekutieren. Wir als Unionsfraktion verurteilen den Einsatz international geächteter Waffen – unabhängig davon, von welcher Seite sie eingesetzt werden – sowie Angriffe auf zivile Ziele aufs Schärfste und fordern die Einhaltung der Genfer Konventionen!
Am vergangenen Freitag haben Armenien und Aserbaidschan unter der Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Genf zwar vereinbart, ihren Krieg nur noch im Einklang mit dem Völkerrecht zu führen, Angriffe auf Wohngebiete und zivile Anlagen zu vermeiden. Diese Zusage wurde aber wohl am Wochenende umgehend wieder gebrochen. Wie der Krieg im Einzelnen verläuft, lässt sich von außen kaum beurteilen. Das Kriegsgebiet in Aserbaidschan beispielsweise ist für ausländische Medien gesperrt. Reporter werden nur in Städte vorgelassen, die von den Armeniern mit Rakete beschossen werden, aber entfernt von der Front liegen.
Tausende Menschen verloren im Verlauf der fast drei Jahrzehnte andauernden Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien bereits ihr Leben. 1991 sagte sich Bergkarabach von Aserbaidschan los. Armenische Streitkräfte besetzten im Zuge des Krieges nicht nur Bergkarabach selbst, das etwa fünf Prozent des aserbaidschanischen Staatsgebietes ausmacht, sondern auch sieben umliegende aserbaidschanische Gebiete. Somit sind heute insgesamt etwa 20 Prozent des aserbaidschanischen Staatsgebiets armenisch besetzt. Die Region wird von Armenien kontrolliert und mehrheitlich von Armenierinnen und Armeniern bewohnt. Sie gehört aber völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan, das auch die Kontrolle über die Enklave beansprucht. Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe. Die militärische Besetzung von Teilen des Staatsgebietes Aserbaidschans wurde 1993 vom UN-Sicherheitsrat in den vier Resolutionen mit den Nummern 822, 853, 874, 884 verurteilt. Die internationale Gemeinschaft betrachtet Bergkarabach völkerrechtlich weiterhin als einen integralen Bestandteil der Republik Aserbaidschan. Es ist die Position Deutschlands wie der Europäischen Union, dass eine dauerhafte Lösung des Bergkarabach-Konfliktes nur auf friedlichem Wege geschehen kann.
Russland als Verbündeter Armeniens und die Türkei als Verbündeter Aserbaidschans gaukeln ihren Anhängern in der Region vor, dass eine Politik der Stärke den Konflikt entscheiden könnte. Gleichzeitig sorgen beide dafür, dass keine Seite die Oberhand gewinnt. Die Menschen vor Ort sind die Leidtragenden. Mit ihrer Haltung blockieren Russland und die Türkei eine nachhaltige Lösung, die nur am Verhandlungstisch erreicht werden kann. Die Instrumente hierfür sind vorhanden. Bereits seit Ausbruch des Krieges im Jahr 1992 bemüht sich innerhalb der OSZE die sogenannte ‚Minsk-Gruppe‘ um eine Lösung des Konflikts. Trotz seit fast 30 Jahren andauernder Vermittlungsversuche sind alle Anstrengungen, den Status quo zu überwinden, bisher erfolglos geblieben. An der seit Mai 1994 bestehenden Waffenstillstandslinie kommt es immer wieder zu bewaffneten Zwischenfällen mit dem Tod von unschuldigen Menschen.
Deutschland will sowohl Armenien als auch Aserbaidschan ein verlässlicher Partner sein. Die Verständigung auf gemeinsame internationale Standards auf der Grundlage des Völkerrechts ist die Voraussetzung für partnerschaftliche Beziehungen zu den Ländern des Südkaukasus. Dazu zählen auch die territoriale Integrität der Staaten und die Unantastbarkeit der Grenzen als grundlegende Prinzipien. Die vier UN-Sicherheitsrats-Resolutionen bekräftigen diesen Standpunkt. Beide Seiten sind aufgefordert, eine verhandelte Lösung zu suchen, um Frieden, Demokratie und Stabilität im Südkaukasus zu stärken. Gemäß Artikel 2 Ziffer 3 und 4 der Charta der Vereinten Nationen sind alle Mitglieder verpflichtet, ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel beizulegen, damit der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sollen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Dieter Gröhler