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Kirsten Tackmann
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Frage von Rainer L. •

Frage an Kirsten Tackmann von Rainer L. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Dr. Tackmann,

wie ist Ihre Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Locke

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Rainer Locke,

vielen Dank für die Frage nach meiner Position zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ich verfolge diese aus meiner Sicht sehr wichtige, engagiert geführte und interessante Debatte seit Langem mit großer Aufmerksamkeit und Neugier. Viele Argumente sprechen sowohl dafür als auch gleichzeitig dagegen. Deswegen ist auch eine klare Positionierung nicht so einfach. Ich möchte das an einem Beispiel erläutern.
Natürlich ist die Tendenz, dass Menschen immer öfter selbst mit einem Vollzeitjob ihre eigene Existenz und die ihrer Familie nicht mehr bestreiten können, nicht hinnehmbar. Mal davon abgesehen, dass sich ja auch die sonstigen sozialen Bedingungen in vielen Arbeitsbereichen verschlechtern. Sozial nahezu ungesicherte Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung, unbezahlte Praktika, immer weitere Arbeitswege, hoher Leistungsdruck, unbezahlte Arbeit, Mobbing am Arbeitsplatz etc. seien hier als Stichworte genannt. Gleichzeitig nehmen immer mehr Menschen trotzdem solche Jobs an, um nicht in das repressive und demütigende Hartz IV-System zu fallen. Aus diesem Blickwinkel heraus verstehe ich die Argumentation sehr gut, dass die Erpressbarkeit der Betroffenen, die ja von einer Mehrheit im Bundestag ausdrücklich gewollt wird, mit einem bedingungslosen Grundeinkommen beseitigt werden kann. Der Mensch scheint durch ein BGE emanzipierter zu sein.
Gleichzeitig entsteht damit aber auch die Situation, dass erwerbsarbeitssuchende Menschen mit dem Argument konfrontiert werden, sie könnten gar keine Ansprüche z. B. auf Eingliederungsmittel etc. stellen, denn sie würden ja über den Transfer abgesichert. Mag sein, dass ich dies auch aus meiner eigenen (ostdeutschen) Biografie bewerte. Für mich und mein Umfeld war es immer absolut selbstverständlich, erwerbstätig zu sein. Auch in meiner politischen Arbeit habe ich eher mit Menschen zu tun, denen ein Arbeitsplatz im Zweifelsfall wichtiger ist als die Höhe des Einkommens. Man kann ja kritisieren, dass dies eine Überbewertung der Erwerbsarbeit ist und dass man das eigene Selbstwertgefühl nicht davon abhängig machen kann, soll oder darf, ob man einen Arbeitsplatz hat oder nicht – es ist aber Realität bei vielen Betroffenen. Das erklärt vielleicht auch, warum ich zum Beispiel im Wahlkreis von Betroffenen dringend gebeten werde, Arbeitsfördergesellschaften zu unterstützen, obwohl sie keine existenzsichernden Arbeitsplätze zu bieten haben und obwohl das bisschen mehr Geld oft nicht mal den Mehraufwand deckt. Ginge es ihnen nur um ihre finanzielle Existenzsicherung, gäbe es diese Bitten nicht. Diese Betroffenen verstehen das bedingungslose Grundeinkommen oft nicht als Emanzipation aus der ausbeutenden Erwerbsarbeit, sondern als ein Abschieben in den privaten Lebensbereich.
Deshalb denke ich, dass das bedingungslose Grundeinkommen eine sehr klare Vision für eine LINKE ist, aber möglicherweise eine Gesellschaft voraussetzt, in der Erwerbsarbeit einen vollkommen anderen Charakter hat als im real-existierenden Kapitalismus. Aktuell sehe ich persönlich deutlich schneller Fortschritte für die konkrete Lebenssituation vieler Erwerbsloser erreichbar mit dem Konzept der LINKEN für eine repressionsfreie Mindestsicherung, mit der Hartz IV nach meiner Überzeugung kurzfristig überwunden werden muss.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Kirsten Tackmann