Frage an Kirsten Lühmann von Mathias T. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete Kisten Lühmann,
den offenen Brief an Ihre Bundestagskollegin und Parteivorsitzende habe ich gelesen und daraus ergibt sich für mich die Fragen:
Warum haben wir keine Verfassung in Deutschland, wo auch dieses Problem aktuell und modern formuliert werden könnte, sondern immer noch das Provisorium für drei Jahre aus dem Gründungsjahr 1949, also das Grundgesetz?
Bis wann kümmern Sie, und viele andere Bundestagsabgeordnete, sich darum, damit endlich eine zeitgemäße Verfassung für Deutschland erarbeitet und dann im Bundestag in namentlicher Abstimmung abgestimmt wird?
M. T.
Bürger der Bundesrepublick Deutschland seit 3. Oktober 1990
Sehr geehrter Herr M. T.,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage.
Bis heute ist unser Grundgesetz, welches am 24. Mai 1949 in Kraft trat, die gültige, vollkommen rechtmäßige Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.
Als das Grundgesetz geschaffen wurde, vermied man absichtlich den Begriff „Verfassung“. Denn das Grundgesetz war in der 1949 verabschiedeten Form zunächst als Provisorium gedacht, bis es durch eine gesamtdeutsche Verfassung abgelöst wird. Durch die Festschreibung einer Verfassung befürchteten die westdeutschen Ministerpräsidenten, die deutsche Teilung zu manifestieren. Deshalb ließ man das Grundgesetz auch durch einen Parlamentarischen Rat anstatt durch eine verfassungsgebende Versammlung verabschieden. Das am 23. Mai 1949 verkündete Grundgesetz besaß de facto nur Geltung für „West-Deutschland“, also die damalige Bundesrepublik Deutschland. Am 30. Mai 1949 gab sich die DDR eine eigene Verfassung.
Der Wunsch nach einer Wiedervereinigung beider deutscher Staaten fand sich in der Präambel des damaligen Grundgesetzes, also der Fassung von vor 1990, wieder. Dort war zu lesen: „Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“ Weiterführend stand darin, dass das Grundgesetz geschaffen wurde, „um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben.“
Im Zuge der Wiedervereinigung trat die DDR gemäß Artikel 23 GG dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei, welches damit zur gesamtdeutschen Verfassung erklärt wurde. In diesem Zuge wurde auch die Präambel verändert. In ihrer aktualisierten Form endet sie heute mit dem Satz: „Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“ Der Bezug auf eine „Übergangszeit“ wurde entfernt.
Das Fehlen des Begriffs „Verfassung“ hat übrigens keinerlei Einfluss auf die Legitimität des Grundgesetzes. Auch in anderen Staaten wie etwa den Niederlanden oder Dänemark wird die gültige Verfassung als „Grundgesetz“ bezeichnet.
Die Aussage, dass unser Grundgesetz immer noch ein Provisorium sei, ist falsch. Diese Behauptung nimmt meist Bezug auf Artikel 146 des Grundgesetzes. Er lautet in seiner derzeit gültigen Fassung:
„Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“
Diese Formulierung interpretieren manche als Eingeständnis, dass es sich bei dem Grundgesetz (noch immer) um eine Art Übergangslösung handle und eine legitime Verfassung erst noch verabschiedet werden müsse.
Doch diese Aussage lässt sich in Artikel 146 selbst so nicht finden, denn dieser gibt keine Handlungsempfehlung oder gar Anweisungen vor.
Er besagt nicht, dass das Grundgesetz durch eine vom Volk bestimmte Verfassung abgelöst werden soll oder muss sondern bloß, dass dieses durch eine vom Volk bestimmte Verfassung abgelöst werden kann. Damit wird aber in keinster Weise impliziert, dass das bestehende Grundgesetz bis zu diesem Zeitpunkt keine Legitimität besitzt.
Ganz im Gegenteil bildete es das Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und förderte damit die Ausbildung einer stabilen Demokratie. Makel der Weimarer Verfassung wurden aus dem Grundgesetz entfernt bzw. gar nicht erst aufgenommen. Die prominente Platzierung der Grund- und Menschenrechte an den Anfang sowie die Schaffung des Bundesverfassungsgerichts, welches sich zum Anwalt der Bürger und ihrer Rechte entwickelte, sorgen dafür, dass die politischen Kräfte und Institutionen im Rahmen der vorgegebenen Verfassungsregeln handeln und agieren.
Unser Grundgesetz kann deshalb absolut als Erfolgsgeschichte gesehen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Kirsten Lühmann, MdB