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Kirsten Kappert-Gonther
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jens R. •

wie können Sie eine Impfpflicht mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbaren?

Sehr geehrte Frau Kappert-Gonther,

wie können Sie eine Impfpflicht mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbaren? Eine Impfung ist ein medizinischer Eingriff in das Immunsystem. Dazu bedarf es der zwanglosen und freiwilligen Einwilligung des Patienten. Eine Impfpflicht widerspricht dem Freiwilligkeit und es entstehen Zwänge. Natürlich hofft man mit einer Impfpflicht Pandemien zu verhindern, jedoch kann und darf das Individualrecht nicht ausgehelbelt werden. Ganz zu Schweigen von den Vertrauensverlusten in die Ärzte, die ja die Patienten zwangsbehandeln müssen. Von dem Problemen mit dem Nürnberger Kodex ganz zu schweigen.
Ich würde mich über eine Rückmeldung mit Ihrer Meinung dazu freuen und hoffe inständig, daß Sie sich gegen eine Impfpflicht entscheiden werden.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jens R.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dr. R.,

vielen Dank für Ihre Mail und die Schilderung Ihrer Bedenken. Aus meiner Sicht ist es sowohl individuell klug sich gegen Covid impfen zu lassen, als auch ein notwendiger Akt der Solidarität, um vulnerable Gruppen zu schützen. Es geht jetzt darum, noch mehr Menschen von der Impfung zu überzeugen und auch die Impfkampagne voranzubringen, um perspektivisch möglichst viele schwere Verläufe einer Covid-Erkrankung und Hospitalisierungen  zu verhindern, unser Gesundheitssystem dauerhaft zu entlasten und die kritische Infrastruktur aufrecht zu erhalten.

In den letzten zwei Jahren der Corona-Pandemie wurde der Politik immer wieder der Vorwurf gemacht, dass sie nicht agiert, sondern nur reagieren würde.  Wir müssen aber auch auf die Wandlungen, mit denen das Virus uns immer wieder überrascht, vorbereitet sein. So wissen wir zunehmend mehr  über die Verbreitung des Subtyps BA.2, die in einigen Ländern und auch bei uns um sich greift. Eine Impfpflicht bedeutet für mich vorausschauendes Handeln, wir wollen informieren, beraten und vorsorgen, um einen möglichen nächsten Pandemie-Winter zu verhindern. Gerade die Aspekte der niedrigschwelligen Information und Aufklärung sind mir dabei sehr wichtig. Aktuell sehen wir wieder eine Trendumkehr, die Infektionszahlen steigen und befinden sich erneut auf einem Rekordniveau. In allen Altersgruppen gibt es schwere Verläufe auch mit der Omikron-Variante. Die Gefahr von Long-Covid ist nicht zu unterschätzen.

Denn ein knappes Drittel der Menschen in unserem Land ist derzeit noch nicht vollständig geschützt, weil sie sich nicht impfen lassen können - oder wollen. In der Altersgruppe über 60 Jahre ist die absolute Zahl der nicht geimpften Personen immer noch sehr groß: Derzeit sind knapp drei Millionen nicht „geboostert“ – sie haben sich also ihre dritte Impfung noch nicht verabreichen lassen. 2,8 Millionen dieser Altersgruppe sind sogar ohne den zweifachen Basis-Impfschutz. Wie die Daten aus dem Intensivregister zeigen, liegen auf den Intensivstationen fast Zweidrittel Ungeimpfte, 10 Prozent sind ungeimpfte Genesene bzw. Teil-Immunisierte. Mein Fazit:  vollständiger Impfschutz schützt am besten und die Schließung der Impflücke ist unser Ausweg aus der Pandemie! Aktuell gehen wir davon aus, dass die Pandemie bei entsprechend hoher Impfquote endemisch wird.  Dafür wollen wir die Voraussetzungen schaffen.

Als Ärztin und Politikerin möchte ich der Annahme deutlich und klar wiedersprechen, dass im Zuge der Corona-Impfungen und einer Impfpflicht der Nürnberger Kodex von 1947 verletzt wird. Den zugelassenen Impfstoffen sind gemäß von standarisierten Verfahren umfangreiche klinische Studien und Tests zu Risiken und Nebenwirkungen mit tausenden freiwilligen Probanden vorangegangen, auf deren Basis dann die europäischen und nationalen Behörden die Zulassung erteilt haben. Hier eine Parallele zu den brutalen medizinischen Verbrechen des NS-Regimes zu insinuieren, halte ich für ahistorisch und falsch.   

Politik muss die Warnungen der Wissenschaft über Änderungen des Virus und der Pandemiedynamik ernst nehmen, auch wenn das eine Änderung der eigenen Haltung bedeutet. Wir suchen eine breite Mehrheit dafür, jenseits der Grenze zwischen Regierungsfraktion und Opposition. Ich will es aber auch klar und deutlich sagen: Eine Impfpflicht ist kein Impfzwang. Ein Zwang zur Impfung wäre weder rechtlich zulässig, noch zielführend. Menschen, bei denen eine Impfung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, oder Frauen, die am Beginn ihrer Schwangerschaft stehen, unterliegen nicht der Impfpflicht. Unser Vorschlag für die Impfpflicht ab 18 ist zeitlich befristet bis zum 31.12.2023. Bis dahin soll das Gesetz alle drei Monate auf seine Wirksamkeit überprüft werden.

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

Kirsten Kappert-Gonther

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