Wie ist Ihre Haltung zur Nukleare Teilhabe
Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
ich habe die Grünen nicht gewählt, damit sie in Krisenzeiten Hals über Kopf
für mehr Aufrüstung eintritt und F-35-Bomber zur „nuklearen Teilhabe“
beschafft. Angesichts der Gefahr eines dritten Weltkrieges darf es nicht
zu einer erneuten Aufrüstungsspirale kommen.
Ich erwarte von euch keine „alternativlose Aufrüstung“ der Bundeswehr
und die Militarisierung im Grundgesetz zu verankern, sondern eine
Entspannungspolitik in Worten und Taten, die der Grünen Partei würdig
ist.
Im gleichen Sinne erwarte ich keine Subventionierung von
Energiekonzernen, die in diesen Zeiten historische Spekulationsgewinne
machen, sondern sofortige und wirksame Maßnahmen zur Senkung des
Bedarfs wie Tempolimit, autofreie Sonntage, Senkung der Raumtemperaturen
und eine große Bewusstseinskampagne für sparsamen Energieverbrauch.
In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
R. M.
Bremen
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Frage. Der Angriff Russlands auf die Ukraine bedeutet eine geopolitische Zäsur mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die deutsche und europäische Sicherheit. Außenministerin Annalena Baerbock hat bei der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer „Nationalen Sicherheitsstrategie“ am 18.3.2022 betont: „Und auch das hat uns der Krieg vor Augen geführt: Die nukleare Abschreckung der NATO muss glaubhaft bleiben. Daher hat die Bundesregierung sich jetzt für die Beschaffung der F-35 entschieden. Dennoch gilt: Unser Ziel bleibt eine nuklearwaffenfreie Welt. (…) Ich möchte, dass wir eine ehrliche Debatte darüber führen, wie wir die Voraussetzungen für Abrüstungsschritte schaffen können. Das geht nicht mit einseitigen Forderungen an unsere westlichen Bündnispartner: Echte Abrüstungsschritte wird es nur geben, wenn alle Nuklearwaffen-Staaten glaubhafte Schritte unternehmen. Und auch – das ist das Schlimme an der jetzigen Situation – wissen wir, dass Putin jetzt genau das Gegenteil macht, indem er mit dem Einsatz von Nuklearwaffen droht.“
Die Welt ist seit dem 24. Februar eine andere, mögliche frühere Gewissheiten sind erschüttert. Die Bundesregierung und das Parlament werden jetzt nach den Entscheidungen zum harten Sanktionspaket und zu Waffenlieferungen auch weiter über Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, über Energieversorgung, humanitäre Hilfe, zivile Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit beraten. Wir werden auch darüber beraten, die Verteidigungsausgaben in diesen schwierigen Zeiten zu erhöhen. Das wird auch verbunden sein müssen mit einer notwendigen Reform des Beschaffungswesens der Bundeswehr. Denn mehr Geld in ineffiziente Strukturen zu geben, bedeutet nicht mehr Sicherheit. Diplomatie, humanitäre Hilfe, zivile Krisenprävention und Bevölkerungsschutz müssen ebenfalls gestärkt werden.
Selbstverständlich müssen wir schnellstmöglich raus aus der fossilen Energieabhängigkeit und der damit verbundenen Subventionen bestimmter Energiekonzerne. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat diese Dringlichkeit noch einmal erhöht. Das bedeutet jetzt in Energiesouveränität zu investieren, den Ausbau der Erneuerbaren weiter zu beschleunigen, wo immer es möglich ist, Energie einzusparen und für den Übergang unsere Energieimporte zu diversifizieren. Für das von Ihnen angesprochene Tempolimit gibt es leider derzeit in der Ampel-Koalition keine politischen Mehrheiten, was wir als Grüne sehr bedauern. Ein Tempolimit wäre in vielfältiger Hinsicht sinnvoll und ist aus meiner Sicht in der aktuellen Situation geradezu geboten: es spart Energie und verringert gleichzeitig schädigende Emmissionen, was der Gesundheit zu Gute kommt, und verringert die Zahl der Verkehrstoten.
Energiepolitik ist Sicherheitspolitik. Unser grüner Verhandlungsdruck in der Ampel war erfolgreich. 200 Milliarden Euro Investitionen sollen über die nächsten Jahre in den Klimaschutz investiert werden, über 100 Milliarden davon sind neue Gelder. Das hilft uns unabhängiger von russischen Importen zu werden und unsere Sicherheit zu stärken. Auch bei allen weiteren Ausgaben und der Debatte um ein Sondervermögen müssen wir Sicherheit breit denken. Sicherheit für Deutschland und Europa bedeutet neben Investitionen in Verteidigung auch Gelder für den Zivilschutz und für Diplomatie, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, um der Entstehung von Krisen vorzubeugen.
Mit freundlichen Grüßen,
Kirsten Kappert-Gonther