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Kirsten Kappert-Gonther
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jonas T. •

Warum unterstützen Sie den wahrscheinlich verfassungswidrigen Gesetzesentwurf zur Sterbehilfe?

2020 urteilte das BVerfG, dass jede/-r Bürger/-in ein Recht auf freiwillige Selbsttötung mit Hilfe Dritter hat.
Leider unterstützen Sie einen Entwurf, der dieses Urteil ignoriert.
Sie können es nicht ändern: Bürger/-innen machen von ihrem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch. Kriminalisierung treibt sie dabei zum Schwarzmarkt und unregulierten gefährlichen Suizidmethoden, die den Schmerz, den Sterbewillige vor und während der Selbsttötung erfahren, erhöhen, sowie das Risiko des Fehlversuchs mit folgendem Leben mit Behinderung steigern. Kranke Menschen werden schon vor der Wartezeit eines unerträglich schmerzhaften natürlichen Todes sterben, weil sie nicht rechtzeitig Zugriff zu schmerzfreien Medikamenten haben. Und nur Wohlhabende werden sich einen würdevollen Tod leisten können, da die Kosten einer Freitodbegleitung in der Schweiz ca. 10000€ betragen.
Ich frage Sie deshalb: wieso unterstützen Sie diesen antiliberalen Gesetzesentwurfs, der weltanschaulich ins letzte Jahrtausend gehört?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr T.,

die Grundlage für eine selbstbestimmte Entscheidung für einen assistierten Suizid ist, dass diese sie frei von inneren und äußeren Drucksituationen getroffen wird. Drucksituationen sind beispielsweise psychische Erkrankung, Angst vor Armut oder Angst vor mangelhafter Pflege. Darum muss eine gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid immer von einem entsprechenden Schutzkonzept flankiert werden. Wir wollen den assistierten Suizids ermöglichen, aber nicht fördern. Vulnerable Gruppen sollen geschützt werden. Dafür werden besonders gefahrträchtige Angebote der Sterbehilfe unter Strafe gestellt. Das ist explizit durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht gedeckt. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber überlassen, im Rahmen des Urteils, die Suizidhilfe gesetzlich zu regeln. Dabei hat der Gesetzgeber insbesondere bei einer uneingeschränkten Suizidhilfe eine Gefahrenprognose anzustellen. Besteht eine Gefahr für die Autonomie von Menschen mit Suizidgedanken, ist ein legislatives Schutzkonzept notwendig. In Nachbarländern wie der Niederlande oder Belgien steigt mit dem Angebot der Suizidassistenz auch die Anzahl der Suizide. Sogenannte harte Suizide werden nicht weniger, sondern nur ergänzt um die Suizide durch assistierten Suizid. Besonders gefahrträchtig kann auch die Werbung für den assistierten Suizid sein sowie kommerzielle Sterbehilfevereine, die auch einen finanziellen Gewinn abzielen.

Die von einer interfraktionellen Gruppe von Abgeordneten, in der ich mich engagiere, vorgeschlagene strafrechtliche Regelung greift, wenn Angebote der geschäftsmäßigen Sterbehilfe die prozeduralen Sicherungsmechanismen aus psychiatrischen Untersuchungen, Beratung, Mehraugenprinzip und Wartefristen nicht einhalten. Für terminal Erkrankte sollen verkürzte Wartefristen gelten.

Die Selbstbestimmung von Menschen mit Suizidgedanken muss geschützt werden. Menschen in Krisensituationen müssen Hilfe bekommen und dürfen nicht allein gelassen werden. Deswegen soll nicht allein das Angebot der Suizidassistenz, sondern vor allem die Suizidprävention gestärkt werden. Das bedeutet, dass es ein bedarfsgerechtes Angebot geben muss, sowohl bei der ärztlichen sowie psychotherapeutischen und pflegerischer Begleitung wie auch hinsichtlich individueller Beratung, abhängig von den Ursachen und Treibern der Suizidgedanken. Bestehende Versorgungsengpässe bspw. in der Psychotherapie müssen deswegen angegangen werden, damit Menschen, die Hilfe brauchen, sie auch bekommen können. Aus einem Versorgungsengpass abzuleiten, dass Menschen mit Suizidgedanken einfach direkt assistierten Suizid durchführen sollten, halte ich für eine gefährliche Vorstellung, die eher einer Verwertungslogik entspricht als der Bemühung, Betroffenen die bestmögliche Hilfe zukommen zu lassen. Kein Mensch sollte vom Staat das Signal bekommen, er oder sie sei überflüssig und werde nicht gebraucht.

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

Kirsten Kappert-Gonther

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