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Kirsten Kappert-Gonther
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Frage von Peter F. •

Ist eine Freigabe von Cannabis ethisch und gesundheitspolitisch vertretbar, obwohl es häufig die Depersonalisation auslöst, eine schwere, meist unheilbare und nicht behandelbare Erkrankung?

Cannabis kann eine schwere psychische Störungen auslösen: Die Depersonalisations-Derealisationsstörung oder kurz Depersonalisation (ICD-10: F48.1; ICD-11: 6B66). Etwa 1% der Bevölkerung sind betroffen [1,2]. In 25% dieser Fälle sind Drogen der Auslöser, am häufigsten durch Cannabis [3,4]. Oft genügt bereits ERSTMALIGER Konsum.

Die Störung ist meist lebenslang und unheilbar und führt nicht selten zum Suizid. Eine wissenschaftlich anerkannte Therapie existiert nicht und Forschung gibt es so gut wie keine, denn die Psychiatrie ignoriert das Krankheitsbild. Die Depersonalisation ist wahrscheinlich viel häufiger eine Folge von Cannabiskonsum als die Psychosen.

Wird die Politik auch wegschauen, indem sie Cannabis legalisiert und zulässt, dass noch mehr Menschen Opfer dieser Krankheit werden?

[1] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15022041/
[2] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35699456/
[3] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/14651505/
[4] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19538903/

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr F.,

vielen Dank für Ihre Frage. Die Koalition hat sich darauf verständigt, die kontrollierte Freigabe von Cannabis umzusetzen, um den Gesundheitsschutz zu stärken.  

Darum trete ich als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Bundestag für die kontrollierte Freigabe von Cannabis ein, weil es darum geht, die gesundheitlichen Risiken zu minimieren. Die Prohibition erhöht die gesundheitlichen Risiken im Zusammenhang mit Cannabis massiv, denn auf dem Schwarzmarkt gibt es weder Jugend- noch Gesundheitsschutz. Selbst für Jugendliche ist Cannabis an jeder Straßenecke leicht erhältlich. Cannabis auf dem Schwarzmarkt ist häufig mit gefährlichen Streckmitteln wie Blei oder synthetischen Cannabinoiden versetzt und die Konzentration der Wirkstoffe ist für die Konsumierenden völlig intransparent. Auf einem regulierten Markt mit Cannabisfachgeschäften, zu denen nur Erwachsene Zugang hätten, wäre das Cannabis frei von Streckmitteln und die Wirkstoffe klar deklariert. Das erhöht den Gesundheitsschutz signifikant.

Die Entstehung von Psychosen ist multifaktoriell. Auch wenn Psychosen in einem statistischen Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis stehen, ist ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang nicht belegt. Eine gängige Hypothese ist, dass Menschen mit einer Prädisposition für Psychose im Rahmen eines fehlgeleiteten Selbstmedikationsversuchs häufiger zu Cannabis greifen; möglich ist auch ein „common cause“ – also eine oder mehrere Ursachen, die beides triggern, Psychose und Substanzkonsum. 

Menschen, die unter Depersonalisation leiden, fühlen sich, als seien sie nicht sie selbst. Der damit verbundene Leidensdruck ist enorm. Die Ursachen können vielfältig sein, nicht selten hängen sie zusammen mit einer traumatischen Erfahrung, auch Drogen- und insbesondere Alkoholkonsum können Risikofaktoren sein. Parallel zur kontrollierten Freigabe muss selbstverständlich die Prävention ausgebaut werden. Aufklärung an Schulen und anderen Orten, wo Jugendliche sich aufhalten, muss zielgruppenspezifisch ausgestaltet werden. Jugendliche, die Cannabis konsumieren, aber auch Erwachsene mit problematischen Konsummustern und schlechten Rauscherfahrungen müssen Beratung und medizinische Hilfe bekommen, ohne Strafverfolgung fürchten zu müssen. Strafandrohungen halten Menschen nicht vom Konsum ab, sehr wohl aber zu oft davon, sich Hilfe zu suchen, wenn sie benötigt wird. Auch das ist eine der vielen schädigenden Nebenwirkungen der Prohibition.

Mit freundlichen Grüßen

Kirsten Kappert-Gonther

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