Foto Dr. Kirsten Kappert-Gonther
Kirsten Kappert-Gonther
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Lennart L. •

Hunderttausende schwerstkranke Menschen mit ME/CFS haben in Deutschland keine medizinische Versorgung und werden systematisch misshandelt. Wieso haben Sie gegen medizinische Versorgung gestimmt?

Sehr geehrte Frau Kappert-Gonther,

was soll man noch schreiben? Sie kennen die grauenhafte und unmenschliche Situation der Erkrankten, Sie kennen die wissenschaftliche Einordnung (WHO, CDC, NICE) und Sie wissen, dass jeden Tag ME/CFS und Long-Covid-Kranke gegen jede Evidenz und Menschlichkeit in deutschen Rehakliniken mit schädigenden "Therapien" misshandelt werden.

Aus irgendeinem Grund sind Ihnen diese Menschen vollkommen egal? Ist das einfach Parteidisziplin und blinder Gehorsam? Haben Sie sich als Psychiaterin selbst schuldig gemacht und wollen das nicht aufgedeckt wissen? Hat die Reha- & Psycholobby einen so großen Einfluss?

In jedem Fall haben Sie im Bundestag GEGEN medizinische und sozialrechtliche Versorgung und Forschung gestimmt!

Wieso haben ME/CFS-Kranke ihrer Meinung nach keine medizinische Versorgung und kein menschenwürdiges Leben verdient?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr L., danke für Ihre Zuschrift.

Meine Kolleg*innen und mich erreichen sehr viele Schreiben von Menschen mit ME/CFS-Erkrankung und deren Angehörigen, die ihre gesundheitliche Verfassung sehr ausführlich schildern sowie ihren Unmut über die unzureichende Versorgungslage äußern. Wir wissen um die großen Einschnitte im Leben sowie die schwierige Lage, in der die ME/CFS-erkrankten Patient*innen und ihre Angehörigen durch ihre Einschränkungen im Alltag und z.T. den dauerhaften Pflegebedarf sind. Zudem ist uns bewusst, dass sie im Gesundheitssystem vielfach auf Unverständnis treffen, dass Fehldiagnosen gestellt werden oder einzelne Ärzte*innen für Diagnosen teilweise viel privates Geld verlangen, wenn Betroffene bei Ärzte*innen mit Kassenzulassung teilweise über lange Zeiträume keine Termine erhalten.

Sie können sich gewiss sein, dass wir all diese Probleme sehr ernst nehmen und die Thematik einen wichtigen Platz auf der politischen Agenda der Ampel-Fraktionen und insbesondere der Grünen einnimmt. Bereits zu Oppositionszeiten haben wir Grüne uns für die Verbesserung der Versorgungssituation von ME/CFS-Erkrankten eingesetzt. Nicht zuletzt hat ME/CFS als eines von ganz wenigen Krankheitsbildern erstmals auch explizit Eingang in unseren Koalitionsvertrag gefunden; wir uns auf die Verbesserung der Forschung und der Versorgung verständigt.

Auch befassen wir uns fraktionsübergreifend bereits seit Frühjahr 2022 im Rahmen einer Petition damit, welche Verbesserungen seitens der Politik möglich und nötig sind, um die Änderungen zur Versorgung von ME/CFS-Patient*innen im Gesundheitswesen anzustoßen. Die entsprechende Petition ist auch weiterhin „offen“ und es finden kontinuierlich Gespräche der Berichterstatter*innen aller Fraktionen statt, in denen gemeinsam beraten wird, welche politischen Schritte und Beschlüsse Sinn machen, um Betroffenen bestmöglich zu helfen.

Auch wenn es keinen Gesetzestext oder Koalitionsantrag gibt, der den Namen „ME/CFS“ trägt, so haben wir als Ampel doch seit Beginn der Legislatur Maßnahmen ergriffen, um die Forschung und Versorgung gezielt zu verbessern:

•   Zur Forschungsförderung sind Haushaltsmittel in Höhe von 22,5 Millionen Euro für 2022 und 2023 bewilligt und werden bereits bewirtschaftet. Im Vergleich zu anderen Forschungsfeldern gibt es eine hohe Bewilligungsquote von Forschungsanträgen (etwa 1/3 der Summe aller beim Bundesministerium für Forschung und Bildung eingegangenen Anträge wurden bewilligt). Dazu gehört beispielweise eine klinische Studie an der Charité Berlin, in deren Rahmen aktuell die Wirksamkeit von vier Gruppen von bereits bekannten Medikamenten für die Behandlung von Patient*innen mit Long-Covid und Chronischem Fatigue Syndrom erforscht wird. Dies ist sehr wichtig, um potenzielle Behandlungsmöglichkeiten auf verschiedene Wirkstoffe auszuweiten. Gleichzeitig gibt es auch Mittel für eine geplante Studie in Erlangen mit dem Medikament BC 007, das bislang in einigen wenigen Heilversuchen bei Long-Covid-Patient*innen erfolgreich getestet wurde.

•   Ein ganz zentrales Anliegen von uns Grünen ist es, gemeinsam mit den Ampel-Partner*innen die Versorgungssituation durch Spezialambulanzen zu verbessern, damit mehr Menschen schneller eine Diagnose bekommen aufgrund derer sie adäquat behandelt werden können. Dazu wurde nun der Gemeinsame Bundesausschuss, der die inhaltlichen Vorgaben der gesundheitlichen Versorgung macht, per Gesetz beauftragt. Er soll bis Ende dieses Jahres eine Richtlinie für die interdisziplinäre und standardisierte Diagnostik von Long-Covid und ähnliche Krankheitsbildern wie etwa ME/CFS erarbeiten. Gleichzeitig wird dadurch festgelegt, wie den Versicherten ein zeitnaher Zugang zu einem multimodalen Therapieangebot gesichert werden muss. Außerdem wurde eine Telefonhotline für Betroffene eingerichtet, um den Betroffenen einen ersten Anlaufpunkt zu geben und sie über bereits bestehende Versorgungsangebote adäquat zu informieren und zu beraten.

•   Darüber hinaus sind wir bemüht, die politische und wissenschaftliche Diskussion zu diesem Thema anzuregen, um die Erkrankung bekannter zu machen. Zu diesem Zweck haben wir als Ampel und als Grüne Fraktion bereits verschiedene Veranstaltungen organisiert.

Obwohl ME/CFS als Erkrankung schon seit 1969 anerkannt ist, haben die CDU/CSU-geführten Vorgängerregierungen diese über 16 Jahre lange ignoriert, obwohl wir Grüne, wie oben erwähnt, die vorherige Regierung nachdrücklich dazu aufgefordert haben, sich des Themas endlich anzunehmen. Erst seitdem wir als Ampelkoalition die mangelhafte Versorgungs- und Forschungslage auf die politische Agenda gesetzt haben und bereits entscheidende Verbesserungen eingeleitet haben, hat auch die CDU/CSU-Fraktion das Thema für sich entdeckt. Viele ihrer Forderungen werden entweder bereits umgesetzt, sind in Planung oder gehören nicht in unseren Einflussbereich. So kann die Bundesregierung beispielsweise weder Curricula für die Fortbildungen von Mediziner*innen selbst festlegen noch kann sie selbst Schwerpunktarztpraxen und -kliniken finanzieren. Schaufenster-Anträge mit Appellen und Forderungen an Gremien, auf die wir keinen Einfluss haben, bringen uns nicht voran – zielführende fraktionsübergreifende konstruktive Zusammenarbeit aber schon.

Daher freue ich mich besonders, dass wir als Ampelfraktionen zu der erwähnten Petition weiterhin in engem Austausch sind, um gemeinsam auszuloten, welcher weiteren zielführenden Maßnahmen es bedarf, damit die Hilfen gezielt bei den Betroffenen auch tatsächlich ankommen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Kirsten Kappert-Gonther

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