Frage an Kirsten Kappert-Gonther von Michaela B. bezüglich Gesundheit
Wie bekommt man eine Krankheit etabliert - als ICD10 Code aufgenommen? Und wie lässt sie sich darüber hinaus unter Ärzten verbreiten - v.a. wenn sie ignoriert und abgestritten wird?
Ich habe Desmose (Bindegewebsschwund am Darmgerüst)/ mit Viszeroptose (Eingeweidesenkung). Es gibt diese Krankheit offiziell nicht (keine ICD10 Code, kein Eintrag auf orpha, se-atlas).
Ich kenne 15 Betroffene mit dieser/ ähnlichen Krankheiten, die kaum essen und trinken können. Ich bin kein Einzelfall. Die Dunkelziffer ist hoch!
Die Erkrankung muss bekannt gemacht werden und es muss ein Diagnosecode dafür geben! Bisher geht man davon aus, dass Desmose im Erwachsenenalter durch Entzündungsprozesse ausgelöst wird bzw. dass ein Enzym, Kollagengerüst im Darms abbaut (autoimmunes Geschehen).
Essen und Trinken sind Horror und wir leiden sehr an Unterernährung. Wir benötige dringend Ansprechpartner/ kompetente Hilfe, die die Erkrankung mit uns zusammen halbwegs in den Griff bekommen - für ansatzweise lebenswertes Leben. Doch NIEMANDEN in Deutschland, betreut/ behandelt/ forscht intensiv und ganzheitlich. Stattdessen wird die Erkrankung abgestritten/ ignoriert! Ärzte/ Krankenhäuser probieren einzeln an uns herum. Niemand weiß, womit er es im Kern zu tun hat und die Auslösenden Mechanismen (für Desmose oder Hypoganglionosen), werden kaum aufgeklärt.
Ich habe ALLE vorhandenen Anlaufstellen durch, mehr als 3000 Kontante gemacht. NIEMAND hier ist verpflichtet sich zu kümmern (Behandlungshoheit bei Ärzten/ Krankenhäusern). Immer nur Ablehnung "keine Erfahrung mit Krankheitsbild". Auch mein Hausarzt bekommt mich nicht unter; ihm wird auch nicht geglaubt.
Ich werde bald (mit 34) das Sterbefasten antreten, weil ich nicht mehr kann und niemand die Krankheit mit dem nötigen Respekt und Priorität behandelt. Einige meiner Leidensgenossinnen können auch nicht mehr, und bekommen nur Steine in den Weg gelegt. Junge Frauen, die lieber sterben, weil es keine/ kaum Würdigung/ Behandlung gibt. Das is grausam!
Sehr geehrte Frau B.,
vielen Dank für Ihr Schreiben. Die Schilderungen Ihres Leidensweges sind sehr bewegend und ich wünsche Ihnen, dass geeignete und gute Therapieformen Sie von einem Sterbefasten abhalten können.
Die Definition und Abgrenzung von Krankheiten sind Aufgabe der medizinischen Fachgesellschaften. Bevor eine Krankheit klassifiziert und eingeordnet wird, muss sie als eigenständiges und abgegrenztes Krankheitsbild beschrieben sein. Eine Berücksichtigung in der ICD-10 dient lediglich der näheren Erläuterung. Eine Liste der medizinischen Fachgesellschaften finden Sie auf der Website der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. ( https://www.awmf.org/fachgesellschaften/mitgliedsgesellschaften.html ). Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V. (DGVS) mit Sitz in Berlin, die Deutsche Gesellschaft für Koloproktologie (DGK) mit Sitz in Freiburg und die Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) mit Sitz in Berlin können Ihnen – soweit Sie diese Fachgesellschaften nicht bereits kontaktiert haben – eventuell hilfreiche Informationen zu Forschungsfortschritten oder Therapieformen geben.
Auf europäischer Ebene haben sich zudem sog. „Europäische Patienteninteressengruppen“ (ePags) etabliert, die bei der Entwicklung der europäischen Referenznetzwerke (ERN) sicherstellen sollen, dass die Stimme der Patientinnen und Patienten klar gehört wird. Hier gibt es eine Reihe von Ansprechpartnerinnen und –partnern, die Patientinnen und Patienten mit gastrointestinalen Erkrankungen beratend zur Seite stehen und dabei auch im Austausch mit europäischen Partnerinnen und Partnern sind: http://download2.eurordis.org.s3.amazonaws.com/epag/epag-representatives-list.pdf . Zudem werden auf EU-Ebene mehrere Initiativen verfolgt, um Betroffene bisher nicht diagnostizierter Krankheiten miteinander zu vernetzen: https://www.eurordis.org/de/content/nicht-diagnostizierte-seltene-erkrankungen#4
Die Bündelung von Kompetenzen bei der Diagnose und Behandlung seltener Erkrankungen ist unerlässlich. Die Schaffung von sog. A-, B- und C-Zentren ist daher der richtige Weg, um einen strukturierten Behandlungsweg für Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen in Deutschland zu schaffen und Ärztinnen und Ärzte über bestehende Krankheitsbilder aufzuklären. Doch es mangelt noch immer an der Zertifizierung, Finanzierung und Evaluierung – die Bündnispartner der NAMSE sind aufgefordert, hier endlich Klarheit zu schaffen und eine bessere Versorgung zu ermöglichen.
Um nähere Informationen über Forschungsvorhaben und Behandlungsmöglichkeiten bei Demose in Erfahrung zu bringen, werde ich gerne eine schriftliche Frage an die Bundesregierung richten. Damit ich Ihnen die Antwort zukommen lassen kann, senden Sie mir bitte eine Mail mit Ihren Kontaktdaten an kirsten.kappert-gonther@bundestag.de .
Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft und versichere Ihnen, dass ich mich auf politischer Ebene auch weiterhin für die Belange von Menschen mit seltenen Erkrankungen einsetze.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Kirsten Kappert-Gonther