Frage an Katrin Werner von Angelika M. bezüglich Soziale Sicherung
Wen meint Ihre Partei wenn sie von „allen Menschen“ bzgl. der Inklusion spricht?
Ein paar Begebenheiten aus meinen Leben
Ich nahm mal vor einiger Zeit an einen Bauchtanzkurs teil, hier konnten und nahmen wirklich alle Menschen teil.
Da waren die die gutaussehenden nicht behinderten Menschen, da waren jugendlichen mit Downsydrom, Rollstuhlfahrerinnen, und ein junges Mädchen kam immer mit ihren Vater. Das junge Mädchen was von dem Vater begleitet wurde saß bzw. lag in ihren Rollstuhl, ihr Blick veränderte sich während des ganzen Tanzkurses nicht, auch Bewegungen waren nicht zu erkennen. Der Vater nahm ein türkisches Tanztuch an dem kleine Schellen dran waren und ließ während des ganzen Tanzkurses das Tuch sanft um seine Tochter streifen.
Bei meinen regelmäßigen Einkäufen treffe ich zwar nicht so regelmäßig aber immer mal wieder Menschen mit Behinderung in Begleitung ihrer Betreuer. Ein Kind fällt dann immer besonders auf, weil es während des Einkaufens lauthals Weihnachtslieder singt, er liebt Weihnachtslieder.
Dieser Junge lebt abseits in einer Einrichtung die sich um Schwerstmehrfachbehinderte Menschen kümmert. Es liegen uns Informationen vor (diese können wir nicht bestätigen da wir diese Information nicht überprüfen können, weil die Einrichtung dies höchstwahrscheinlich nicht zulassen würde), das Menschen dort auch fixiert bzw. ruhig gestellt werden.
Ein anderer Fall den ich erlebt habe, ein Junge auf einer Förderschule schlug immer wieder auf seine Mitschüler ein, eine Schülerin wurde dabei mit einen Stuhl so schwer verletzt, das diese ins Krankenhaus gebracht wurde.
So und jetzt kommen wir nochmals zu meiner Eingangsfrage zurück, welche Menschen sind bei dem Thema Wahlrecht, Inklusion inkl. Schule,Arbeit, Bundesteilhabegesetz gemeint?? Wirklich ALLE???
Für die politische Diskussion ist es aber notwendig, dass deutlich gemacht wird, wen die Politik mit „ALLEN“ meint, weil die Realität zeigt leider ein anderes Bild bei der Inklusion.
Sehr geehrte Frau Mincke,
herzlichen Dank für diese spannende Frage, die ich gern beantworte.
Ihre Einschätzung, dass die Wirklichkeit leider in hohem Maße wenig inklusiv ist, teile ich. Noch immer befremdet die selbstverständliche Anwesenheit auch von mehrfach schwerstbehinderten Menschen die angeblich normale Öffentlichkeit. Noch immer gibt es viel zu viele Barrieren, damit wirklich alle - also jede und jeder - alltäglich die öffentlichen Angebote nutzen kann oder überhaupt Zugang zu ihnen findet. Deshalb hat DIE LINKE auch vor wenigen Wochen einen Antrag in den Bundestag eingebracht und die Regierung aufgefordert, ein Sofortprogramm in Höhe von 1 Milliarde Euro jährlich in einem Zeitraum von 5 Jahren zur Beseitigung bestehender Barrieren aufzulegen.
Damit ist ihre Frage im Kern schon beantwortet: DIE LINKE meint mit "allen" wirklich "jede und jeden", unabhängig von Art, Schwere und Dauer der Behinderung. Wir sind darüber hinaus sowohl gegen Zwangsbehandlungen als auch gegen jede Form der Zwangsunterbringung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Auch dazu liegen parlamentarische Initiativen vor: seit langem beispielsweise ein Antrag zur Streichung des Kostenvorbehaltes im § 13, Absatz 1 des SGB XII oder zur Aufhebung des Wahlrechtsauschlusses, die aber leider abgelehnt wurden.
Sie kommen jetzt sicher auf den Schüler zurück, der seine Mitschüler schlägt. Dies ist unbestritten gefährdendes Verhalten, dessen Ursachen erkannt werden müssen und möglichst begleitend zumindest gemildert werden sollten, wenn sie nicht zu beseitigen sind. Doch die Möglichkeit gefährdenden Verhaltens ist auch außerhalb von Förderschulen und durch nichtbehinderte Menschen gegeben. Und vor allem ist diese Möglichkeit keine Begründung für eine Einweisung in eine Förderschule oder in eine sonstige aussondernde Einrichtung. Sie ist zuerst ein Grund für eine qualifizierte Assistenz und therapeutische Begleitung, um Schritt für Schritt mehr Kompetenzen auszugestalten. Wer sagt uns eigentlich, dass diese Tätlichkeiten nicht auch eine ungezügelte Reaktion auf Zustände in der Schule oder im sozialen Umfeld sind? Auch hier gilt es, wie im Leben überhaupt, die einzelne Situation und das einzelne Individuum zu sehen.
DIE LINKE plädiert seit langem für einkommens- und vermögensunabhängige Teilhabeleistungen, die bedarfsdeckend ausgestaltet werden müssen. Letztendlich ist volle Teilhabe, wie sie die UN-Konvention vorschreibt, nicht ein Ziel an sich, sondern der Weg für und in ein selbstbestimmtes Leben. Oder anders gesagt: die Partizipation ist der Weg in die Emanzipation. Das gilt für jede und jeden, mit oder ohne Behinderung.
Ihnen persönlich und ihren Angehörigen wünsche ich alles Gute.
Mit freundlichen Grüssen
Katrin Werner