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Katrin Helling-Plahr
FDP
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Frage von Anna Lena W. •

Wieso haben Sie sich - insbesondere im Hinblick auf den zu befürchtenden Rechtsruck & Einschränkungen von Frauenrechten- NICHT für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen eingesetzt?

Abtreibungsverbot = Geburtszwang! Kein Mensch sollte dazu gezwungen werden, eine ungewollte Schwangerschaft austragen zu müssen.

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Antwort von
FDP

Sehr geehrte Frau W., 

haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift. 

Zunächst möchte ich vorausschicken, dass die derzeitige Rechtslage versucht, einen Ausgleich zwischen verschiedenen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern zu schaffen. Die Vorschrift des § 218 StGB steht im Spannungsfeld zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und Selbstbestimmungsrecht der Frau. Eine vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen wäre mit unserer Verfassung nicht vereinbar, da das Grundgesetz dem Staat nicht nur unmittelbare Eingriffe in das menschliche Leben untersagt, sondern ihn zugleich verpflichtet, sich schützend und fördernd vor jedes menschliche Leben zu stellen. Dies umfasst auch das ungeborene Leben.

Einer der Hauptgründe, warum einige Abgeordnete eine Reform des § 218 StGB anstreben, ist die mangelhafte Versorgungslage in unserem Land. Ich bin der Auffassung, dass die Versorgung von Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollen, unbedingt sichergestellt sein muss. Dass sich die Versorgungslage in den vergangenen Jahren drastisch verschlechtert hat, können wir nicht hinnehmen. Genau aus diesem Grund hat die Fraktion der Freien Demokraten die Abschaffung des Informationsverbots in § 219a StGB vorangetrieben. Außerdem ist es uns gelungen, sogenannten Gehsteigbelästigungen schwangerer Frauen vor Schwangerschaftsberatungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, einen Riegel vorzuschieben. Weitere gesundheitspolitische Maßnahmen (z.B. bessere Verankerung der Thematik in der medizinischen Ausbildung, Nutzung des Potentials medikamentöser Abbrüche, bessere Einbindung von Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft) sollten dringend folgen. Hingegen lässt sich empirisch jedoch nicht nachweisen, dass rechtspolitische Maßnahmen, wie eine Reform des § 218 StGB, tatsächlich zu einer verbesserten Versorgungslage führen.

In Ihrer Frage beziehen Sie sich auf einen Vorstoß im Deutschen Bundestag, § 218 StGB kurz vor Ende der Wahlperiode in seiner jetzigen Form zu streichen. Der Antrag wird der Komplexität der mit dem Schwangerschaftsabbruch verbundenen ethischen und juristischen Fragestellungen jedoch nicht gerecht. Insbesondere ist sein Zeitpunkt denkbar ungünstig gewählt. Denn der Deutsche Bundestag hatte von vornherein keine Gelegenheit, die Forderungen in einem für medizinethische Fragen üblichen und geordneten Verfahren zu beraten. Weder die übliche Orientierungsdebatte noch Prüfungen des Gesetzentwurfs auf Rechtsförmlichkeit haben stattgefunden. Die nun auf Wunsch der Gruppe terminierte Anhörung fand am wohl vorletzten Sitzungstag des Deutschen Bundestags statt, sodass schon überhaupt kein regulärer Abschluss mehr möglich war. Auch, wenn Kolleginnen und Kollegen öffentlich versucht haben, einen anderen Eindruck zu erwecken, war das von vornherein auch klar. Statt der gesellschaftlichen Debatte den ihr zustehenden Raum zu bieten, haben die Antragstellerinnen und -steller den Schwangerschaftsabbruch zu einem Wahlkampfthema gemacht. Das halte ich für unangemessen.

Medizinethische Fragestellungen werden im Deutschen Bundestag seit jeher üblicherweise fraktionsübergreifend in Gruppenantragsverfahren behandelt. Jeder und jede Abgeordnete soll bei solch gewichtigen Fragen ausschließlich seinem oder ihrem eigenen Gewissen verpflichtet sein. Das gilt auch für die Abgeordneten der FDP-Fraktion.

Ich persönlich erachte die gegenwärtige Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen als einen gesellschaftlich breit akzeptierten Kompromiss, den wir nicht gefährden sollten. Auch das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bei der Gestaltung des Abtreibungsrechts immer wieder enge Grenzen gesetzt und in der Vergangenheit bereits wiederholt Regelungsversuche, mit denen der nunmehrige Vorstoß teilweise übereinstimmt, für verfassungswidrig erklärt. Das Risiko eines erneuten Scheiterns vor dem Bundesverfassungsgericht ist mithin gegeben. Einige Sachverständige, darunter auch Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski, haben in der öffentlichen Anhörung Bedenken zur Verfassungsgemäßheit des vorgelegten Gesetzentwurfs geäußert (vgl. https://www.bundestag.de/resource/blob/1049682/8ab939cbfee1eef0ab2b90db73fbbf39/Stellungnahme-Rostalski.pdf). Ein erneutes Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht, das unter anderem auf ein verkürztes Verfahren zurückzuführen wäre, das keine Möglichkeit zur Einbringung von Änderungsanträgen bot, schwächt das Vertrauen in unser Parlament und bietet extremistischen Parteien eine Gelegenheit, dies für ihre Zwecke auszunutzen. 

Als Freie Demokraten sprechen wir uns daher in unserem Bundestagswahlprogramm für ein geordnetes Verfahren im Wege von sog. fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen mit Gewissensfreiheit für jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten aus. Ich bleibe überzeugt, dass wir Maßnahmen ergreifen müssen, um die Versorgungslage zu verbessern und die Selbstbestimmtheit schwangerer Frauen konkret zu stärken.

Mit freundlichen Grüßen

Katrin Helling-Plahr

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