Frage an Katrin Helling-Plahr von Bernd D. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Henning-Plahr,
es gibt 2 zentrale Argumente gegen die Widerspruchslösung bei der Organspende:
1) Eine Spende, der man nur durch ein ausdrückliches Nein entkommt, sei keine Spende mehr.
Bitte bedenken Sie, worauf der Begriff „Organspende“ ursprünglich zielt, nämlich auf die Verhinderung von Organhandel. Wir sind sich ja alle einig, es darf niemals eine „Organbörse“ geben.
2) Die Widerspruchslösung sei ein unerträglicher Eingriff in unsere Persönlichkeitsrechte.
Meine Bitte: Fragen wir nicht als Erstes, ob wir Organe spenden wollen, sondern, ob wir für uns und unseren Liebsten im Ernstfall ein Organ wünschen würden!
Praktisch jeder tut das. Übrigens: Einem minderjährigen Kind kann man ein Organ durch elterliches Veto gar nicht vorenthalten, auch Zeugen Jehovas nicht. Die Ärzte erwirken sofort eine begrenzte Sorgerechtsübertragung auf das Jugendamt.
Jede Moral, die von der Rechtsgleichheit der Menschen ausgeht, fordert, anderen nicht vorzuenthalten, was man für sich und die Seinen wünscht. Kants kategorischer Imperativ stellt diese Maxime in das Zentrum der Moral, und sie ist Basis unseres Grundgesetzes.
Andererseits ist es ein hohes Menschenrecht, zu bestimmen, was mit dem toten Körper geschieht, wenn dieses Recht auch eingeschränkt ist: Es gibt kein Einspruchsrecht gegen die Obduktion bei unnatürlichem Tod.
Kranken, die keine Organe spenden wollten, darf man die Transplantation nicht verweigern. Es ist das Zentrum der ärztlichen Berufsethik, Behandlung darf niemals von Vorbehalten gegenüber dem Patienten abhängen.
Fazit: Ein Organ im Bedarfsfall haben, aber nicht geben wollen, ist nicht moralisch. Aber sowohl die Entnahme gegen den Willen des Verstorbenen als auch die Verweigerung ärztlicher Behandlung scheitern an höheren Rechtsgütern.
Was tun, in so einem moralischen Dilemma? Ist es nicht wenigstens zumutbar, dass, wer keine Organe spenden will, bei Bedarf aber selbst eines bekommt, Nein sagen muss?
Kollegiale Grüße Bernd Meyer
Sehr geehrter Herr Dr. Meyer,
bereits in meiner Antwort an Sie vom 18. Januar 2019 hatte ich dargestellt, dass aus meiner Sicht die Widerspruchslösung prinzipiell gut vertretbar ist. Insofern meine ich, dass es grundsätzlich zumutbar ist, ausdrücklich „Nein“ sagen zu müssen. Allerdings ist die Widerspruchslösung ja kein Zweck an sich, sondern lediglich Mittel zum Zweck höherer Organspendezahlen. Wir müssen die Zahl von derzeit noch rund 9.400 Patienten auf den Organ-Wartelisten unbedingt reduzieren und idealerweise zu einer vollständigen Bedarfsdeckung kommen.
Der Deutsche Bundestag hat mit dem GZSO kürzlich ein Gesetz auf den Weg gebracht, das geeignet ist, dem Ziel einer vollständigen Deckung des Organbedarfs ein gutes Stück näher zu kommen oder es sogar zu erreichen. Parallel debattieren wir politisch und gesellschaftlich über die Weiterentwicklung des gesetzlichen Status Quo bei der Organspende, also letztlich über die Frage „Beibehaltung der Zustimmungslösung, verpflichtende Entscheidungslösung oder Widerspruchslösung“.
Ich bin durchaus der Auffassung, dass wir parallel bzw. ergänzend zum GZSO auch den gesetzlichen Status Quo weiterentwickeln müssen. Wenn dadurch früher als erwartet eine Bedarfsdeckung oder sogar ein Überschuss an verfügbaren Organen eintritt – umso besser. Schließlich haben wir im Rahmen von Eurotransplant jahrelang von den Organüberschüssen anderer Länder profitiert. Es wäre darum durchaus angezeigt, hier nun bald etwas „zurückzugeben“.
Allerdings bleibe ich dabei, dass wir bei einem solch massiven Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht (und das ist und bleibt eine Organspende weiterhin) behutsam und schrittweise vorgehen müssen. Wir sind als Politiker verpflichtet, zunächst das mildere Mittel zur Steigerung der Organspenderzahlen zu wählen, das die Menschen weniger in ihrem Selbstbestimmungsrecht belastet. Das bedeutet für mich weiterhin, dass wir zunächst den Weg der verpflichtenden Entscheidungslösung gehen müssen, bevor wir die Widerspruchslösung als „ultima ratio“ wählen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Katrin Helling-Plahr