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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Thomas S. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Thomas S. bezüglich Soziale Sicherung

Guten Tag ,

Zitat Frau Göring-Eckardt:

"Im Hinblick auf das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) muss die Grundsicherung selbst besser vor Armut schützen. Wir wollen den Regelsatz für Erwachsene und Kinder neu berechnen und erhöhen. Die Regelbedarfe müssen den tatsächlichen Bedarf decken, auch für die Teilhabe am sozialen Leben. Auch für Bücher, Kino und Fahrscheine muss es reichen – für Erwachsene und Kinder. Wir setzen in der Grundsicherung nicht auf Sanktionen, sondern auf Motivation, Anerkennung und Beratung. Daher wollen wir die Sanktionen abschaffen, insbesondere die Sonderregeln für unter 25-Jährige."

https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/katrin-goring-eckardt/question/2017-09-13/290912

1. Sind die Grünen nicht mitverantwortlich für die von Ihnen benannten sozialen Härten?

"15. November 2002: Der Bundestag stimmt Hartz I und II mit den Stimmen von Rot-Grün gegen die Opposition zu. Die Neuregelungen sehen verschärfte Zumutbarkeitsregelungen für Arbeitslose, mehr Leih- und Zeitarbeit sowie mehr Minijobs vor."

https://www.gruene.de/ueber-uns/35-gruene-jahre-35-gruene-geschichten/35-gruene-jahre-27-eine-chronik-der-sozialreformen.html

2. Gregor Gysi warf angesichts der Abstimmung zu den Hartz IV Reformen im Bundesrat 2016 den Grünen ein machtpolitisch motiviertes Taktieren vor:

http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/hartz-iv-linken-chef-gysi-empoert-ueber-gruene-32122.php

Wie werten Sie Herrn Gysis Kritik?

3. Sie schreiben, dass die Grünen den Regelsatz für Erwachsene und Kinder neu berechnen und erhöhen wollen. Haben sie den Regelsatz noch nicht neu berechnet, wenn ja - warum noch nicht?

4. Können Sie einen Regelsatz in konkreten (!) Zahlen benennen, der besser vor Armut schützen kann und für den die Grünen konkret nach der Wahl arbeiten werden?

5. Wie stehen Sie zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Viele Grüße T. S.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Frage, die wir gerne im Namen von Frau Göring-Eckardt
beantworten werden.

Zu 1.: Im Jahr 2004 war die arbeitsmarktpolitische Situation eine andere als heute. Die Zahl der Menschen ohne Job hatte eine traurige Rekordhöhe erreicht. Damals waren doppelt so viele Menschen arbeitslos wie heute (fast 5 Mio.). Einfach weiter machen wie bisher war keine Option. Ziel der Hartz Reformen war es, Bewegung in den Arbeitsmarkt zu bringen und die Hürden im Zugang zum Arbeitsmarkt zu senken, etwa über geringfügige Beschäftigung oder Leiharbeit. Viele Menschen haben durch Hartz IV überhaupt erst Zugang zu Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten oder auch aktiven Leistungen erhalten. Vorher waren Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger von den Leistungen des Arbeitsamtes ausgeschlossen.

Aus heutiger Sicht arbeiten aber immer noch viel zu viele Menschen in nicht regulären Jobs und kommen ohne Unterstützung des Jobcenters nicht über die Runden. Die Zusammenlegung war eines der größten Reformprojekte der Bundesrepublik. Wir haben schon damals gesagt, dass die Umsetzung der Reform wegen der Größe des Projekts viel Lernbereitschaft und Offenheit von Bund, Kommunen und Bundesagentur verlangt, um Verbesserungen und Feinabstimmungen vor dem 01.01.2005 wie danach zu ermöglichen. Weitere Informationen dazu finden Sie hier: www.boell-bw.de/fileadmin/Heinrich-Boell-Stiftung/2004/04-04HartzIV-Reader.pdf
.
Allerdings haben wir in den Verhandlungen mit der SPD und in den Sitzungen des Vermittlungsausschusses mit der Union auch einige bittere Pillen schlucken müssen: Durch die verschärfte Anrechnung des Partnereinkommens haben viele vorherige Arbeitslosenhilfebezieher, besonders Frauen, keinen eigenständigen Leistungsanspruch mehr. Die verschärften Regelungen zur Zumutbarkeit hat die Union im Vermittlungsausschuss durchgesetzt. Im ursprünglichen rot-grünen Gesetzentwurf war als Kriterium für die Zumutbarkeit die ortsübliche tarifliche Entlohnung wie schon im SGB III festgelegt. Wir haben schon damals angeregt, branchenbezogene Mindestlöhne zu ermöglichen und die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen zu erleichtern, um Mindeststandards für Arbeit zu setzen. In den letzten 12 Jahren waren wir nicht in Regierungsverantwortung im Bund und hatten folglich keine Gelegenheit, soziale Härten abzumildern.

Zu 2.: Die LINKE macht sich keine ernsthaften Gedanken über die Zukunft unseres Sozialstaats und darüber, wie die Interessen verschiedener Gruppen miteinander zum Ausgleich gebracht werden können – auch in der Zukunft. Sie macht viele wohlklingende Vorschläge, es bleibt aber offen, wer all die schönen Versprechen bezahlen soll. Deshalb ist mit einer Umsetzung nicht zu rechnen.

Zu 3.: Es ist Aufgabe des Gesetzgebers das menschenwürdige Existenzminimum festzulegen. Das hat das Bundesverfassungsgericht betont. Wir kritisieren aus diesem Grund, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Gesetzgeber nicht angemessen beteiligt hat. Wir sind der Meinung, dass der Gesetzgeber diese Aufgabe nicht an Experten delegieren kann und sollte. Wir wollen aber einen sehr intensiven Dialog mit fachkundigen Experten und Verbänden führen. Auch das Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum schlägt vor, dass eine Sachverständigenkommission aus Wissenschaftlern, Arbeitgebervertretern, Gewerkschaften und Sozialverbänden gebildet werden sollte. Diese soll Vorschläge und Empfehlungen für die Ermittlung der Regelbedarfe entwickeln - für die Berechnung der Regelsätze für Kinder halten viele Verbände ein solches Vorgehen sogar für zwingend. Wir Grüne haben in den zurück liegenden Jahren unsere Anforderungen an die Berechnung der Regelsätze formuliert (siehe auch Frage 4).

Zu 4.: Wir wollen den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II so berechnen und erhöhen, dass man menschenwürdig davon leben kann und soziale und kulturelle Teilhabe möglich ist. Die Kinderregelsätze müssen sachgerecht ermittelt werden, damit alle Kinder wirklich teilhaben können. Für die Stromkosten wollen wir eine gesonderte Pauschale einführen und die Übernahme der angemessenen Wohnkosten sicherstellen. Auch unvermeidlich nötige, größere Anschaffungen, wie Waschmaschinen, müssen möglich sein. Die Grundsicherung wollen wir zu einer individuellen Leistung weiterentwickeln, denn das Prinzip der Bedarfsgemeinschaften benachteiligt Frauen und zementiert ihre Abhängigkeit. Im Rahmen der letzten Haushaltsberatungen hat die Fraktion 1,5 Milliarden Euro für die Anpassung der Regelsätze gefordert: Die Regelsätze sollen zumindest wieder unter Einbeziehung nicht der unteren 15%, sondern der unteren 20% der nach Einkommen geschichteten Haushalte berechnet werden. Damit wäre nach den Daten des Paritätischen eine Erhöhung um rund 20 € verbunden.

Zu 5.: Wir haben uns intensiv mit der Idee des Grundeinkommens beschäftigt. Viele der grünen Forderungen von der Kindergrundsicherung bis zur Garantierente wurden auch von dem Vorschlag eines Grundeinkommens beeinflusst. In Zeiten der Digitalisierung und der alternden Gesellschaft müssen wir uns damit beschäftigen, wie die soziale Sicherung zukünftig solidarisch, nachhaltig und armutsfest organisiert werden kann. Das ist eine der großen Zukunftsfragen. Wir wollen notwendige Reformen und verschiedene Reformvorschläge inklusive des Grundeinkommens in der Gesellschaft diskutieren und brauchen Antworten auf bisher ungeklärte Fragen. Wir wollen dabei von den Erfahrungen anderer Länder, wie Finnland und Brasilien, profitieren, aber auch das Grundeinkommen in einem realistischen Modell in Deutschland erproben.

Mit freundlichen Grüßen

Büro Göring-Eckardt

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