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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Claudia G. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Claudia G. bezüglich Energie

Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,

derzeit läuft die parlamentarische Beratung der Änderung des BBPlG, mit dem Bundesbedarfsplan als zentrales Instrument des geplanten Übertragungsnetzausbaus. Das BVerfG hat just in Sachen Atomausstieg entschieden, dass die Entschädigung der Stromkonzerne neu geregelt werden muss.

Droht das gleiche Szenario nicht auch bei der Energiewende und dem geplanten Netzausbau?
Immer mehr Bürgerinnen und Bürger kehren der zentralisierten Stromversorgung den Rücken und produzieren ihren Strom selbst. Dezentrale Speicherung überschüssiger Energie ist inzwischen problemlos möglich.

Die heute schon erkennbar deutlich rückläufige dezentrale Stromnachfrage wird dazu führen, dass in naher Zukunft die Übertragungsnetzbetreiber ihre überdimensionierten Übertragungsnetze nicht kostendeckend werden betreiben können.
Werden dann erneut die Bürgerinnen und Bürger aufgrund ihrer Doppelrolle als private Endverbraucher (Netzentgelte und Strompreis) und Steuerzahler ( Entschädigung Übertragungsnetzbetreiber) doppelt zur Kasse gebeten - für einen unnötigen überdimensionierten Netzausbau, den nur die Investoren (Rendite 6,91%) wollen?

Macht es für Sie noch Sinn, an dem geplanten überdimensionierten Netzausbau festzuhalten, den der technische Fortschritt überholt hat und der deshalb zum Milliardengrab werden wird?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Groß,

vielen Dank für Ihre Frage an Frau Göring-Eckardt. Sie hat uns gebeten, Ihnen zu antworten.

Wir Grüne im Bundestag setzen uns für die vollständige Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien ein. Um dies zu schaffen, muss die veraltete Stromleitungsinfrastruktur fit gemacht werden. Nur so ist garantiert, dass die teils stark schwankenden erneuerbaren Stromquellen dezentral ins Netz einspeisen können und dass Windstrom aus dem Norden effizient und weiträumig in die Verbrauchshochburgen in Süd- und Westdeutschland übertragen wird. Das ist gerade in den sonnenarmen Wintermonaten notwendig für die Versorgungssicherheit. Dazu brauchen wir auch neue Stromtrassen.
In den letzten Jahren hat der Netzausbau mit dem Wandel der Energielandschaft nicht Schritt gehalten. Seit den 1970er Jahren wurde wenig in die Netze investiert. Das führt bereits heute zu Engpässen in manchen Regionen Deutschlands, in anderen Regionen sind diese absehbar. Wegen dieser Engpässe werden zum Beispiel an der Nordseeküste heute schon Windenergieanlagen zeitweise abgeschaltet, da im Netz keine Kapazitäten vorhanden sind um den Strom dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird. Das ist extrem ineffizient und wir brauchen deutlich mehr Windstrom onshore und offshore, um unsere Klimaziele erreichen zu können.

Es ist schon jetzt klar, dass ein erheblicher Stromtransportbedarf in Deutschland besteht und auch in Zukunft weiter bestehen wird. Auch wenn in Süddeutschland erneuerbare Energien stärker ausgebaut werden – was von uns schon immer unterstützt wurde –, wird die Versorgung der Verbrauchszentren ohne ausreichende Leitungen für den Stromtransport nicht gelingen. Zwar sinkt durch Ausbau der Erneuerbaren im Süden tendenziell der Bedarf, das Stromleitungsnetz auszubauen – ebenso wie durch Maßnahmen zur Energieeinsparung, zum intelligenten Lastmanagement in der Industrie und durch Speichertechnologien. Dies ist aber von uns längst eingeplant, um einen massiven Netzausbau über das heutige Niveau hinaus zu vermeiden. Die bisher beschlossenen Leitungen sind definitiv auch bei einem starken Ausbau der Erneuerbaren in Süddeutschland sinnvoll. Sie sind kosteneffizient und umweltfreundlicher als mögliche Alternativen. Ein Verzicht auf diese Leitungen würde nämlich insgesamt viel mehr Windräder notwendig machen und auch viel mehr Speicher. Diese würden deutlich mehr Ressourcen verbrauchen, Landschaft verändern und Geld kosten. Denn schon der heutigen Netzausbauplanung liegt die Annahme eines deutlichen Ausbaus der Erneuerbaren im Süden zugrunde, weitaus stärker als er derzeit in Realität zu beobachten ist. Zudem ist ein überregionaler Austausch von Strom für die Versorgungssicherheit des gesamten Landes, für einen funktionierenden europäischen Strommarkt und für eine kostengünstige Energiewende unerlässlich. Und ja, auch der Strommarkt ist sehr hilfreich, damit die Energiewende gelingen kann.

Bürgerenergie ist ein urgrünes Thema und wir setzen uns mit Nachdruck dafür ein, dass viele Menschen ihren Beitrag zur Energiewende leisten und ihren Anteil an den Gewinnen haben können. Bürgerenergie bedeutet aber nicht, dass wir auf den Ausbau der Stromleitungen verzichten. Die vielen kleinen erneuerbaren Anlagen sind vor allem gemeinsam stark. Wind und Sonne ergänzen sich gegenseitig ebenso wie Produktion und Verbrauch in verschiedenen Regionen Mitteleuropas und längst existierende große Speicherkapazitäten in Skandinavien und im Alpenraum. Eine solidarische Energiewende denkt immer auch die Versorgung der Ballungszentren und der Industrieregionen mit. Dabei kommen wir allein wegen der benötigten Strommenge nicht ohne Offshore-Strom aus. Aus all diesen Gründen lässt sich eine erfolgreiche und vollständige Dekarbonisierung der Energieversorgung am effizientesten mit einem sinnvollen Netzausbau erreichen. Erneuerbarer Strom soll in allen Teilen des Landes produziert werden. Das bedeutet aber nicht, dass alle Regionen autark werden könnten oder dass die Netzstruktur nicht an die neuen Erfordernisse angepasst werden müsste. Die Untersuchungen zum Bedarf der HGÜ-Leitungen gehen heute schon davon aus, dass auch im Süden Deutschlands Erneuerbare zugebaut werden – und zwar mehr als wir derzeit sehen. Eine dezentrale Erzeugungsstruktur alleine kann den Netzausbaubedarf nicht verhindern. Obwohl wir großen Wert darauf legen, dass nur unbedingt notwendige Leitungen gebaut werden, unterstützen wir deshalb den Bau der derzeit beschlossenen HGÜ-Leitungen ausdrücklich. Gleichzeitig fördern wir aktive Bürgerinnen und Bürger, die sich vor Ort für den Ausbau erneuerbarer Energien einsetzen. Nur wenn wir sowohl im Kleinen als auch im Großen für den Wandel eintreten, kann die Energiewende gelingen

Die Position der Grünen ist das Ergebnis von langen inhaltlichen Debatten und Gesprächen mit Experten. Wir nehmen das Thema nicht auf die leichte Schulter und sind uns bewusst, dass der Netzausbau einen großen Eingriff in die Natur und die gewohnte Umgebung der Anwohnerinnen und Anwohner darstellt. Wir haben immer für technische Innovationen gekämpft, die den Bedarf an Stromleitungen reduzieren. Diese werden mittlerweile großzügig in den Netzplanungen berücksichtigt. Teilweise werden auch genau diese Innovationen wie zum Beispiel Netzbooster von Bürgern vor Ort in Frage gestellt.

Die Energiewende ist ein notwendiges Mittel, um die Klimakrise zu bekämpfen und eine lebenswerte Zukunft zu erhalten. Unfassbar viel steht derzeit für unsere Kinder und Enkel auf dem Spiel. Deshalb werden wir nicht müde uns für eine sehr schnelle Energiewende einzusetzen. Dabei ist uns wichtig, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit frühzeitig, niederschwellig, ehrlich und mit echtem Einfluss der Menschen vor Ort stattfindet. Gemeinsam können wir im Kampf gegen den Klimawandel noch etwas bewirken.

Mit freundlichen Grüßen
Büro Göring-Eckardt

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